Der Olaf hatte es erlaubt. Der Olaf war schuld. Und trotzdem wusch der Olaf seine Hände in Unschuld, als alles vorbei war. Ich hätte ihn am liebsten erwürgt.
"Nein", flehte ich, "tu es nicht."
Aber es war zu spät. Das Geld für den Friseur hatte er der Mücke schon gegeben.
"Geh, jetzt lass sie doch", sagte er und verstand meine Aufregung nicht, "es sind nur Haare. Die wachsen wieder nach." Sagte ausgerechnet der Mann, der sich nur alle zehn Tage die Haare wusch, aus Angst sie könnten ihm durch zu häufiges Rubbeln und Shampoonieren ausgehen.
Als mir die Mücke - damals elfeinhalb - die Frisur beschrieb, die ihr vorschwebte, fiel ich fast in Ohnmacht. Es war eindeutig der Lampenschirm. Wehmütig strich ich ihr über die langen gewellten Haare, die ich so oft geflochten, frisiert, geföhnt und gescheitelt hatte. Sie sollten nun ab. Für einen Kurzhaarschnitt, bei dem die Haare oberhalb des Ohres in Topfform geschnitten werden. Für Menschen mit Naturwelle ist diese Frisur tabu, da der Topf sich ausdehnt und die Form eines Lampenschirms annimmt. Die Mücke hatte Naturwellen, war sich darüber aber offensichtlich nicht im Klaren.
"Du wirst unglücklich sein mit der neuen Frisur", sagte ich, "niemand hat sich je mit dem Lampenschirm am Kopf schön gefühlt." Dann zählte ich alle Nachteile auf – von "zu-kurz-für Pferdeschwanz" über "immer-dasselbe" bis hin zu "muss man viel öfter Haarewaschen".
Unbeeindruckt hörte sich die Mücke meinen Vortrag an. "Egal", sagte sie dann, "mir gefällt es."
Mir gefiel es überhaupt nicht. Deshalb verschwieg ich der Mücke auch, dass es in den Achtzigerjahren sehr wohl berühmte Frauen gegeben hatte, die mit dem Lampenschirm Furore machten. Zum Beispiel fiel mir Jennifer Grey ein, die als dauergewellte "Baby" in "Dirty Dancing" doppelt doof mit dem Lampenschirm aussah, weil noch Stirnfransen dran waren.
Ich konnte es nicht verhindern
"Überlege es dir noch einmal", bat ich zum letzten Mal und konnte es trotzdem nicht verhindern.
Die Mücke brach an einem Samstagnachmittag zum Friseur im Einkaufszentrum auf. Mein Vorschlag, zu Pierre in die Stadt zu fahren, der die schönsten Strähnchen und die schönsten Hochsteckfrisuren kann, wurde abgelehnt. Die Chefin des Ladens, in den die Mücke ging, war eine solariumbraune Brünette mit gelbem Kakadu-Schopf namens Jenny-Rose. Mir war unwohl bei dem Gedanken, die Mücke in die Hände von einer Jenny-Rose zu geben. Aber ich hatte keine Wahl und ließ sie ziehen. Sie wollte sich den Lampenschirm ganz allein abholen.
"Du schaust immer schön aus", gab der Olaf auch noch einen wertvollen Kommentar zum Thema ab. Hätte er doch lieber den Mund gehalten.
Eine Stunde später warteten wir, wie ausgemacht, vor dem Friseurladen, um die Mücke abzuholen. Als sie heraustrat, verschlug es mir die Sprache und ich musste mich an einer Säule festhalten. Der Lampenschirm war nicht nur in der kurzen "Ober-Ohr"-Version ausgeführt, sondern zu allem Überfluss auch noch asymmetrisch. Stolz kam die Mücke auf uns zu und wäre fast gegen einen Mistkübel gelaufen. Über dem rechten Auge hing ein buschiger Haarvorhang, der gerade um so viel zu kurz war, dass sie ihn nicht hinters Ohr klemmen konnte. Um trotzdem etwas sehen zu können, hielt sie den Kopf schief und schwankte wie ein kaputter Scheibenwischer.
"Oh, mein Gott", stöhnte ich leise. Der Olaf, der schuld an allem war, übernahm das Begeistert-Sein.
"Toll schaust du aus", begrüßte er die Mücke, "total verändert."
Sie strahlte und drehte sich einmal um die eigene Achse, damit er sie aus jeder Perspektive bewundern konnte.
"Ja!", sagte ich und hoffte, dass das als Zustimmung reichen würde.
"Es gefällt dir also nicht, oder?", stellte die Mücke fest.
"Doch", log ich, "aber ich muss mich erst daran gewöhnen."
Wahre Bedeutungen
Wäre die Mücke älter gewesen, hätte sie gewusst, dass "sich erst daran gewöhnen müssen" in der Frauen-untereinander-Geheimsprache "es könnte nicht schrecklicher sein" bedeutet. Der Olaf ließ die Augen in den Höhlen rollen, um mir zu signalisieren, dass ich mich zusammenreißen solle. Anscheinend kannte er die Frauen-untereinander-Geheimsprache auch. Okay, dachte ich mir, holte tief Luft und sagte in einem sehr natürlichen, fast ehrlichen Tonfall, dass der Schnitt "cool" und "mal etwas ganz anderes" sei. Der Olaf zeigte mir hinter Mückes Rücken den Vogel. Woher wusste er nur, dass "cool, mal etwas ganz anderes" eigentlich übersetzt "oh, mein Gott" hieß? Dankbar sah mich die Mücke an, und ich hätte am liebsten geweint, weil ich ihr nicht sagen konnte, dass es schlimmer als befürchtet war. Durch die großen Glasfronten des Friseurladens winkte ihr Jenny-Rose zu und deutete mit beiden Daumen nach oben. Um ihren nackten Oberarm schlängelte sich ein chinesischer Drachen, obwohl Jenny-Rose unter Garantie nichts mit China am Hut hatte. Die Mücke zeigte die Daumen-nach-oben zurück, und ich hasste diese pseudo-chinesische Drachenfrau abgrundtief, weil sie meinem ahnungslosen Kind einen schiefen Lampenschirm verpasst hatte, um rasch fünfzig Euro kassieren zu können. Ich hätte ihr hundert Euro gegeben, wenn sie der Mücke den Lampenschirm ausgeredet hätte.
"Zur Jenny-Rose musst du auch einmal gehen", sagte in diesem Moment die Mücke, "die ist echt cool."
Nur über meine Leiche würde ich Pierre untreu werden und mir von diesem tätowierten Kakadu auf den Kopf greifen lassen.
Nach ein paar Tagen musste sich die Mücke eingestehen, dass alles, was ich im Zusammenhang mit der Frisur prophezeit hatte, eingetreten war. Ohne Schiebespange, die die Haare davon abhielten, dauernd vor den Augen zu hängen, bekam die Mücke Rückenschmerzen, weil sie automatisch den Kopf schief legte. Durch das ständige Auf-die-Seite-Schieben, Schütteln und Durchwühlen wurden die Haare schnell strähnig und fett. Ja, der Lampenschirm musste jeden Tag gewaschen werden.
Wir, der Olaf und ich, vermieden das Thema Haare – auch dann, wenn die Mücke aussah wie ein ausrangierter Besen.
Es vergingen drei Monate, bis sich die Mücke eingestand, dass sie gern ihre langen Haare zurückhätte.
"Da kannst du dich bei deinem Vater und bei deiner Lieblingsfriseurin Jenny-Rose bedanken", sagte ich, "hättest du auf mich gehört!"
Aber statt ihrem Vater, dem Spender des Lampenschirms, die Schuld zu geben, gab sie sie mir. Schluchzend, mit einer großen hellblauen Schiebespange auf dem Kopf, stand sie vor mir. "Du hättest es mir verbieten müssen", schrie sie, "du hast nur gesagt, dass ich es nicht machen soll. Aber du hast es nicht verhindert."
Ich versicherte ihr, dass das nichts genützt hätte. "Du hättest die Haare trotzdem abgeschnitten. Dann eben heimlich. Bestimmt."
Die Mücke schüttelte den Kopf und hasste mich sicherlich in diesem Moment genauso innig wie ich Jenny-Rose hasste.
"Komm ich zeige dir etwas", sagte ich versöhnlich und klappte ein altes Album auf. Auf einem Foto war ich ungefähr in Mückes Alter und trug auch den Lampenschirm. Allerdings in der symmetrischen Version, was ihn nur um Nuancen besser machte.
"Du schaust ziemlich blöd aus mit der Frisur", fand die Mücke.
"Dir steht sie viel besser", sagte ich.
Da lachte die Mücke, umarmte mich und flüsterte mir etwas ins Ohr: "Lügnerin", flüsterte sie.