Irgendwann musste der Tag ja kommen. Ich hatte ihn schon früher erwartet.
Eine Tätowierung wäre schlimmer, sagte ich mir, als die Teenagerin verkündete, dass sie anderntags zum Friseur gehen würde, um sich die Haare färben zu lassen.
Leni Klum hatte es vorgemacht, war aus Mutter Heidis Schatten hervorgetreten und mit neuer dunkler Mähne von der Fashionwelt zur Trendsetterin erkoren worden.
Christiane Tauzher: Die Pubertäterin
Seit die Pubertät unsere Tochter, die Wombi, kurz nach ihrem 13. Geburtstag in ihre Gewalt bekommen hat, halten wir die Fenster geschlossen, damit die Nachbarn nicht die Polizei rufen. Die Pubertäterin ist laut und unberechenbar, wenn sie nicht gerade wie ein Wombat schläft oder isst – was sie zum Glück oft tut.
Die Geschichten, die ich – Journalistin, 41, aus Wien, verheiratet mit Olaf, 46 – hier erzähle, handeln natürlich nicht von der Pubertäterin in meiner Familie. Nein. Sie entspringen meiner blühenden Fantasie oder stammen aus anderen Familien. Dort geht es nämlich arg zu – in den anderen Familien ...
Meine Tochter, von der Natur mit blonden Haaren ausgestattet, entschied sich die gravierende Typveränderung ausgerechnet vom Friseur ihrer Großmutter durchführen zu lassen. Ein lieber, runder, älterer Mann mit gefärbtem Schnauzbart, der die Drei-Wetter-Taft-Dose schwingt wie ein Dirigent. Als wollte er jedes Haar einzeln beschwören, dort zu bleiben, wo er es hingefönt hat.
„Glaubst du, dass er der Richtige ist?“, fragte ich meine Tochter. „Für den Anfang wäre tönen besser als färben“, rief ich ihr noch hinterher.
Vier Stunden später ein Video- Anruf: „Ich glaube, es ist rot geworden! ROT! Verstehst du, was ich gesagt habe?“ Die Kamera ihres Handys schwenkt über einen sehr dunkelroten Haaransatz. Farbton: „Überreife Kirsche“
„Was soll ich jetzt machen?“, fragte sie mich.
„Wolltest du es rot?“, fragte ich. Eine ganz falsche Frage, wie ich sofort feststellte. „Glaubst du wirklich, dass ich es SO wollte? NATÜRLICH NICHT!“
„Naja, es ist einmal etwas anderes“, sagte ich, „und bei einer Tönung wäscht sich die Farbe schnell wieder raus.“
Schweigen. Die Videokamera zeigte mir jetzt den Asphalt. „Hallo?“, fragte ich.
„Es ist keine Tönung. Er hat gesagt, dass das nicht hält bei meinen Haaren und dass wir es besser gleich ordentlich machen.“
„O... kay“, sagte ich, „dann gehst du jetzt zurück und sagst ihm, dass es dir nicht gefällt.“
„Aber das ist doch total arg. Er wird gekränkt sein“, wand sie ein.
„Schau, es ist dein Kopf. Wenn du die nächsten Monate wie eine punkige Vampirbraut herumlaufen möchtest, dann lass es so.“
„Sehr aufbauend!“, schnaubte sie und legte auf.
Zwei Stunden später wieder ein Anruf. „Es ist jetzt besser“, sagte sie und klang nicht überzeugt. „Danke übrigens, dass du der Nonni (Großmutter, Anm.) gesagt hast, dass ich nicht zufrieden war mit der Haarfarbe. Das war so peinlich.“
Was war passiert? Meine Mutter hatte im Salon angerufen, während ihre Enkeltochter noch dort saß und hatte Stunk gemacht. Der kleine, runde Friseur war untröstlich gewesen, dass er Mist gebaut hatte. Sein Sohn, ein Wunderkind in der Haarschneidebranche, ein Farbkünstler und Meisterstufenschneider, bei dem man wochenlang wegen eines Termins ansteht, wurde zum Studium der verpatzten Farbe hinzugezogen. „Themenverfehlung“, sagte er lapidar, als er das Foto, das die Teenagerin als Vorlage mitgenommen hatte, mit dem Resultat verglich. Die neue reparierte Farbe war weniger rot und mehr schwarz.
„Das nächste Mal“, sagte er, „machst du dir besser einen Termin bei mir aus.“
Der kleine, runde Friseur war geknickt und gab der Teenagerin das Geld zurück.
Zuhause wartete ich schon, begutachtete und lobte die Farbe, spannte einen Bogen von Schneewittchen zu Liz Taylor. Es wandte sich gerade alles zum Guten, als der Olaf bei der Tür hereinkam.
Er sah seine Tochter und sagte: „Ha, das ist ja eine super Farbe für Halloween morgen. Sieht total echt aus. Sehr cool. Gehst du als Vampir?“