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C. Tauzher: Die Pubertäterin Mama, was ist dir lieber – künstliche Nägel oder ein Tattoo?

Ein Oberarm wird tätowiert
Tattoo oder künstliche Nägel – die Mutter ist von beiden Ideen ihrer Tochter nicht begeistert
© Csaba Toth / Getty Images
"Du bist doch schon groß", sagte Christiane Tauzher leichtsinnig zu ihrer Tochter, Die Teenagerin fällt darauf hin Entscheidungen alleine. Ihre Mutter ist nicht begeistert.

Wie ein rundherum zugezippter Schlafsack lag uns die Sommerhitze zwei Monate lang auf den Gliedern. Für Abkühlung sorgte nicht die Klimaanlage, sondern unsere Tochter. Nein, sie fächelte uns nicht mit einem Palmblatt Luft zu, was ich durchaus angebracht gefunden hätte und worüber sich die Umwelt und ihr Oberarm gefreut hätten – nein, sie erzeugte ganz ohne Körpereinsatz frostige Atmosphäre, weil nichts so laufen wollte, wie sie es sich gedacht hatte.

Christiane Tauzher: Die Pubertäterin

Seit die Pubertät unsere Tochter, die Wombi, kurz nach ihrem 13. Geburtstag in ihre Gewalt bekommen hat, halten wir die Fenster geschlossen, damit die Nachbarn nicht die Polizei rufen. Die Pubertäterin ist laut und unberechenbar, wenn sie nicht gerade wie ein Wombat schläft oder isst – was sie zum Glück oft tut.

Die Geschichten, die ich – Journalistin, 41, aus Wien, verheiratet mit Olaf, 46 – hier erzähle, handeln natürlich nicht von der Pubertäterin in meiner Familie. Nein. Sie entspringen meiner blühenden Fantasie oder stammen aus anderen Familien. Dort geht es nämlich arg zu – in den anderen Familien ...

Beim Sommerpraktikum in einem kleinen Café störte sie der kiesbedeckte Untergrund, in dem sie bei jedem Schritt knirschend versank. Es störte sie die Sonne, die sich durch die bunten Schirme schummelte und ihr ins Gesicht schien. Die Leute, die nicht freundlich genug waren. Die Chefs, die unwürdige Tätigkeiten wie Besteckpolieren von ihr verlangten. Und die Null-Trinkgeld-Strategie für PraktikantInnen.

Bevor ich nach Italien flog, riet ich ihr, sich höflich beim Lokalbetreiber zu beschweren. Sie gab schnaubende, stöhnende Laute von sich. Der Olaf blieb mit ihr in Wien, während ich mit ihrem kleinen Bruder in den Süden vorausflog.

„Danke, dass du mich allein lässt“, sagte sie verächtlich, als wir uns am Flughafen verabschiedeten. „Du schaffst das. Du bist schon groß“, sagte ich aufmunternd.

Zwei Wochen hörte ich nur sporadische Berichte aus der Heimat. Dann war endlich der Tag gekommen, an dem Vater und Tochter zu uns stießen.  

Gut gelaunt prostete mir die Teenagerin mit einem Eistee auf der Piazza zu und sagte den wichtigen italienischen Satz: „Facciamo un brindisi.“ (Lasst uns anstoßen!) Ich wollte mich gerade freuen, dass sie das in der Schule Gelernte in der Praxis anwendete, als mein Blick auf die Finger meiner Tochter fielen, die das Glas umschlossen. Sie sah es, wie ich erstarrte und ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Gefallen dir meine neuen Nägel?“, fragte sie und streckte mir ihre Hand hin. Ich trank meinen Aperol Spritz in einem Zug leer.

„Warum. Hast. Du. Das. Gemacht?“, presste ich hervor. „Du hast doch gesagt, dass ich schon groß bin“, grinste sie.

Ihre Nägel sahen aus wie Schaufeln mit blassblauen Rändern. Der Olaf sagte, dass er es „nicht so arg“ fände. Leider waren die Eiswürfel in meinem Glas geschmolzen, sonst hätte ich sie als Wurfgeschoße verwendet. Ich hielt eine kurze Rede über den Schaden, den künstliche Nägel am Naturnagel anrichteten, dann trank ich aber lieber ein zweites Glas Aperol.

Dass ich drei Tage später meine Meinung ändern sollte, war die Schuld eines Taxifahrers. Der schloss die Wagentür mit Schwung und übersah, dass er einen Finger mit blauer Nagelspitze einzwickte. Wir packten Eis auf den gequetschten Finger und warteten darauf, dass er blau anlaufen würde. Aber nichts geschah. Der Kunstnagel hatte den Schlag wie ein Schild abgefangen. Der Nagel war also ein Held, ich konnte nichts mehr sagen.

Fingernägel
Die künstlichen Nägel der Teenagerin sorgten für allerhand Aufregung
© privat

Wenig später fuhren wir nach Wien zurück. Ohne das große Kind, das noch zwei elternfreie Wochen mit Freundinnen dolce vitern wollte. Doch daraus wurde nichts, denn das Kind erkrankte. Nachdem das böse C ausgeschlossen werden konnte, tippte der per Telefon konsultierte Arzt auf eine Sommergrippe. Doch der Zustand der Teenagerin wollte sich trotz starker Medikation nicht verbessern. Wir sorgten uns tausend Kilometer entfernt und erwogen eine erneute Anreise.

Bis der Olaf abends im Internet auf einen Beitrag stieß, der die künstlichen Nägel als Nährboden für Infektionen enttarnte. Schnell war klar: Das Kind hatte zehn tickende Zeitbomben auf den Fingern. Unter den Platten schwelten sicher eiternde Wunden. Je mehr wir über das Thema lasen, desto sicherer waren wir, dass die Nägel Schuld am schlechten Zustand unseres Kindes waren. Sie würden sie vergiften. Irgendwo stand, dass eine Frau sogar einmal ins Koma gefallen war, weil sie allergisch auf das Nagelgel reagiert hatte. Was, wenn ...

Wir schliefen kaum noch vor Sorge.

Kurz bevor ich  einen Flug buchte, schleppte sich die Teenagerin ins italienische Nagelstudio und ließ sich das Gel herunterfeilen. Darunter war … nichts.

„Ihr habt mich ganz wahnsinnig gemacht mit euren Schauergeschichten“, schnaubte sie hinterher.

„Bitte, für die Zukunft, lass diese Nägel aus“, sagte ich, „das sieht weder gut aus, noch ist es gesund.“

„Ich bin ja schon groß“, antwortete sie, „wenn ich mir mein Trinkgeld zurückgeholt habe, werde ich noch einmal darüber nachdenken. Ab 18 könnte ich mir auch schon ohne deine Erlaubnis ein Tattoo.....“

Mein gellender Schrei zerriss die Luft.

„Nägel, bitte wieder Nägel! Die Nägel sind super.“

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