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C. Tauzher: Die Pubertäterin Chaosferien: im Krankenhaus in Neapel, in Ohnmacht vor der Wursttheke

Frau liegt erschöpft auf Hotelbett
Von Dolce Vita war bei diesem Italienurlaub nichts zu spüren
© Pyrosky / Getty Images
Sonne, Meer und das gute Leben. Christiane Tauzher und Familie genießen die Ferien in Italien. Doch das "Dolce Vita" hält nur kurz an. Bei einem Ausflug zum Vesuv nimmt das Chaos seinen Lauf.

Ostern in Italia: Eiersuchen mit Meeresrauschen, sich den italienischen Frühling zufächeln lassen, „Buona Pasqua“ nach links und nach rufen, „Dolcevitern“ bis zum Umfallen.

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"Ich sage es jetzt zum allerallerletzten Mal! Storys aus dem fast perfekten Alltag einer Mutter", von Christiane Tauzher, Goldegg Verlag, 14,95 Euro

Erwartungsvoll und zum Zerplatzen vorfreudig brachen wir am Montag vor Ostern nach Neapel auf. Die Teenagerin hatte für sechs Tage Ferien den größten Koffer aus unserem Gepäck-Fundus gepackt und hatte, wie sich später herausstellen sollte, so gut wie nichts Brauchbares mitgenommen. Das lag weniger am Wetter als an den unglücklichen Umständen, die sich wie eine Gewitterwolke über unserer Familie zusammenbraute. Das Unglück nahm am Fuße des Vesuvs, den wir auf Wunsch des kleinsten Familienmitgliedes besteigen wollte, seinen Anfang.  Der Teenagerin war das erst einmal nur recht, dass der kleine Bruder plötzlich über Knieschmerzen klagte und nicht mehr gehen konnte. Sie war nicht so erpicht darauf gewesen, einem alten Vulkan und einer Trümmerstadt einen halben Tag opfern zu müssen.

Der Taxifahrer fuhr uns in Neapels größtes Kinderkrankenhaus, wo das mittlerweile angeschwollene Knie nach vierstündiger Wartezeit untersucht wurde. Als uns der Arzt mit Grabesstimme eröffnete, dass er uns über Nacht im Spital „behalten“ wollte, willigte ich ein – nichtwissend was uns erwarten würde. Zu diesem Zeitpunkt glich mein Magen, der sich auf die zwei Ps Pizza und Pasta gefreut hatte, einem Krater.

Und nun geht es bergab ...

Bevor ich mit dem Siebenjährigen das Acht-Personen-Krankenzimmer bezog, bat ich meine fast erwachsene Tochter noch etwas zu Essen für mich zu besorgen.  Besuche auf der Station waren ausnahmslos nicht gestattet. Wenig später kam die Teenagerin mit massenhaft Keksen und Gummizeug zurück. Ich durchwühlte die Säcke zweimal, in der Hoffnung das ersehnte Pizza-Stück einfach übersehen zu haben. Wutentbrannt stopfte ich mir den Mund mit Gelatine-Insekten voll. „Ich verstehe nicht, warum du sauer bist“, sagte die Teenagerin, „du wolltest Essen. Ich habe dir Essen gebracht.“

Ich ließ die Diskutiererei bleiben und sparte mir meine Kräfte für meinen kranken Sohn auf, mit dem ich mir die kommenden beiden Nächte ein Spitalsbett teilte. Die Teenagerin zog mit ihrem Vater in ein kleines Hotel in der Nähe. Nach der ersten Nacht, rief sie mich an und beklagte sich, dass es „kein Honiglecken“ sei, mit ihrem Vater auf 20 Quadratmetern eingesperrt zu sein. Ich, die in der Nacht unter einer grellen Neonlampe und permanenten Piepsgeräuschen kein Auge zugetan hatte, lachte hysterisch auf. „War ja klar, dass du mich nicht verstehen würdest“, sagte sie bei der Verabschiedung und hängte noch eine Frage an: „Kann ich alleine mit dem Schiff auf die Insel fahren? Ihr braucht mich hier eh nicht ...“ Der Olaf war einverstanden, mir war zu diesem Zeitpunkt schon fast alles egal. Ich glaube, das lag daran, dass ich auch beim Schlafen die FFP2-Maske aufbehalten musste.

Die Insel, von der die Rede war, auf der wir über Ostern eine Unterkunft gemietet hatten, ist mein Sehnsuchtsort: Capri – die Wiege des Dolce Vita.

Die Teenagerin zog mit ihrem Monsterkoffer von Dannen, bestieg mit großen schwarzen  Shades das Schiff und weg war sie, auf dem Weg ins Paradies. Dann hörten wir nicht mehr viel von ihr. Das Dolcevitern nahm sie wohl sehr in Anspruch.

Nach drei Tagen und zwei Nächten entließ ich uns selbst aus dem Spital, mein Gehirn fühlte sich nach 72 Stunden hinter der Maske an wie eine Dörrpflaume.

Der Olaf holte uns ab. Wir düsten der Teenagerin mit dem Schnellboot hinterher. Es war Gründonnerstag und ich tippte eine Einkaufsfrühstücksliste in mein Handy, die ich der Teenagerin mit dem Vermerk schickte, dass die Geschäfte um 18 Uhr schließen würden. Sie schrieb schnaubend zurück, dass sie jetzt müde sei und dass sie sowieso nichts frühstücken wolle, dass sie dafür jetzt hungrig sei und dass es überdies kalt im Haus sei. Ich starrte auf das Display, dann tippte ich mit letzter Kraft: „GEH JETZT EINKAUFEN! BIS SPÄTER! ENDE.“

Wir, der Olaf, der kleine österreichische Patient, dessen bakterielle Infektion sich in Luft aufgelöst hatte, und ich, betraten eben capresischen Boden, als mein Handy wieder klingelte. Ich reichte es augenrollend an den Olaf weiter. Lange sagte er nichts, dann weiteten sich seine Augen, und ich sah und hörte Worte aus seinem Mund kommen, die nach  „bleib ganz ruhig“ und  „wir kommen gleich“ und „alles wird gut“ klangen.  Dann holte er tief Luft in meine Richtung. „Sie ist ohnmächtig geworden“, sagte er, „und sie ist vor der Wursttheke im Supermarkt umgekippt. Sie glaubt, dass sie sich den Knöchel gebrochen hat.“

Christiane Tauzher: Die Pubertäterin

Seit die Pubertät unsere Tochter, die Wombi, kurz nach ihrem 13. Geburtstag in ihre Gewalt bekommen hat, halten wir die Fenster geschlossen, damit die Nachbarn nicht die Polizei rufen. Die Pubertäterin ist laut und unberechenbar, wenn sie nicht gerade wie ein Wombat schläft oder isst – was sie zum Glück oft tut.

Die Geschichten, die ich – Journalistin, 41, aus Wien, verheiratet mit Olaf, 46 – hier erzähle, handeln natürlich nicht von der Pubertäterin in meiner Familie. Nein. Sie entspringen meiner blühenden Fantasie oder stammen aus anderen Familien. Dort geht es nämlich arg zu – in den anderen Familien ...

Ich suchte Halt an einem parkenden Auto. Automatisch griff ich mir ins Gesicht, um die Maske, die die Sauerstoffzufuhr zu meinem Gehirn ganz offensichtlich blockierte, wegzureißen. Doch da, wo ich die Maske vermutete, waren nur meine Nase und mein Mund . Alles, was ich gehört hatte, musste also wahr sein. Mir war nach aggressiv hysterischem Lachen zumute.

Ich wusste, was mich vor der Wursttheke erwarten würde. Neben einem verletzten zweiten Kind, der Vorwurf, dass ich Schuld an allem sei, weil ich sie genötigt hatte, fürs Frühstück einzukaufen. Ohne mich hätte sie das sichere Bett gar nicht verlassen.

Ich fühlte mich 300 Jahre alt. Das Taxi flog an kleinen Cafés und bunten Getränken vorbei. Ich wollte sie alle leertrinken.

„Schlimmer kann es eigentlich jetzt nicht mehr werden“, sagte der Olaf und lachte.

Wie unrecht er doch hatte.

Fortsetzung folgt...

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