Was gehört zu den drei wichtigsten Dingen im Leben einer 17-Jährigen?
- Smartphone (= eh klar)
- Golden Goose (= Ledersneakers, die soviel kosten wie ein Wellnesswochenende)
- Führerschein (= Freiheit)
Der Staubsaugerfön, das Chihuahua-Hündchen und die Schminktasche von der Größe eines Interrail-Rucksackes rangieren erst weiter hinten.
Das Ranking hat einen Haken: Die Nummer 3.
Weder Geburtstag, noch der Verkauf der Firmungs-Goldmünze können das Zertifikat, das berechtigt ein Fahrzeug zu lenken, herbeizaubern. Jeder und zwar wirklich J.E.D.E.R. muss sich hinsetzen und pauken, um von offizieller Stelle auf die anderen Verkehrsteilnehmer losgelassen zu werden.
Ich erinnere mich noch an die Worte meines Vaters, als ich über den Fahrschulbüchern saß. Er warf sie scherzhaft zu mir ins Zimmer: „Jeder noch so große Depp da draußen hat den Führerschein.“ Mein Vater war ein sanfter und weiser Mann und wollte mich damals sicherlich nur aufmuntern und mir die Angst vor der Prüfung nehmen. Dass der Druck, eine Prüfung zu versemmeln, die jeder Depp geschafft hatte, schwer auf mir lastete, war ihm nicht bewusst.
Dieses Trauma wollten der Olaf und ich unserer Tochter ersparen, und der Olaf trug sich als Fahrlehrer an. Tausende Kilometer sollte das Vater-Tochter-Vehikel vor ihrem 18. Geburtstag mitsammen zurücklegen, um zur praktischen Fahrprüfung zugelassen zu werden. Was man vorher jederzeit schon erledigen konnte, war die schriftliche Theorie-Prüfung.
Es folgen häufig benützte Wortwechsel des vergangenen Jahres. Anzahl der Häufigkeit ist in der Klammer angeführt:
„Wann beginnst du denn mit dem Lernen für die Fahrprüfung?“
- „Bald!“ (54)
„Hast Du schon für die Fahrprüfung gelernt?“
- „Ich fang heute an.“ (76)
„Und, wie läuft’s mit dem Lernen?“
- „Pfffffffffffffffffffffffffff!“ (66)
„Ich wollte dir nur sagen, dass mir heute die XYZ im Auto entgegengekommen ist. Die hat ihren Führerschein anscheinend schon.“
- „Bitte, das is mir so egal, was die macht oder nicht macht.“ (4)
„Worauf wartest du eigentlich noch? Hoffentlich verdienst Du einmal viel, damit du dir einen Chauffeur leisten kannst...“
- „LASS MICH EINFACH IN RUHE!“ (120)
Ich gebe zu, ich konnte es nicht – sie in Ruhe lassen. Der Olaf entpuppte sich obendrein als wenig geduldiger Fahrlehrer, und oft stürmte die Teenagerin nach einer Übungsfahrt wütend auf ihr Zimmer. Der Olaf schüttelte meistens den Kopf und sagte „Es ist ein Wahnsinn“ oder „so habe ich mir das nicht vorgestellt.“
Vorletztes Wochenende, am Ende der Ferien, war es dann soweit, unsere Tochter begann zu lernen, nachdem die Fahrschule ein Informationsschreiben ausgeschickt hatte, dass die Zeit bald abgelaufen sein würde.
Wir, der Olaf und ich, hatten einen beruflichen Termin in der Stadt. Als wir in einen Stau gerieten, versuchte ich unsere Tochter zu erreichen, um sie zu bitten, ihren kleinen Bruder von der Schule abzuholen.
Allein, sie ging nicht an ihr Handy. Ich sah die schrecklichsten Szenarien vor mir. Das Kind zusammengebrochen, reglos auf ihrem pinkfarbenen Teppich liegend. Das Kind in der Gewalt von Kidnappern. Das Kind vor Verzweiflung über die schwierigen Prüfungsfragen in einer depressiven Stimmung gefangen.
Irgendetwas musste passiert sein. Niemals, unter keinen Umständen, würde sich das Kind vom Handy wegbewegen.
Die von mir alarmierte Nachbarin, die einen Schlüssel zu unserer Wohnung hat, ging schauen, was dem Kind zugestoßen war.
Mein Herz hämmerte.
„Äh, warum machst du so ein Tamtam, wenn ich einmal nicht zum Telefon gehe“, fragte mich meine Tochter kurze Zeit später über das Handy der Nachbarin. Ja, okay, sie würde den kleinen Bruder dann holen.
Warum sie nicht an ihr Handy gehen würde, fragte ich.
Ein Geschenk feiert eine überraschende Premiere
„Weil ich es in den Handysafe eingesperrt habe, den du mir geschenkt hast. Der Safe öffnet sich erst in 2 Stunden. Jetzt lerne ich und dann ist es auch wieder nicht recht.“
Ich schnappte nach Luft.
Der Handysafe, eine Plexiglasbox mit Timer, ist seit acht Monaten Teil unserer Familie und wurde von der Teenagerin noch nie benützt. Sie fand ihn „affig“, „unnötig“ und „etwas für Schwächlinge, die sich nicht disziplinieren können.“
„Also weißt du, ich...“, fing ich an.
„Äh, nicht böse sein, aber bis ich meinen Bruder abholen muss, würde ich jetzt gerne weiterlernen“, fiel sie mir ins Wort, „wenn es dir also nichts ausmacht, dann...“
Es machte mir was aus. Ich holte tief Luft, dann schrie ich:
„LASS MICH EINFACH IN RUHE!!!!!“ (121)
Eine Woche später bestand die Teenagerin die Prüfung.