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C. Tauzher: Die Pubertäterin Die Teenagerin in Quarantäne: Nicht ohne meinen Lidschatten!

Mädchen schminkt sich
Nicht ohne mein Schminktäschchen
© Cimmerian / Getty Images
Wenn das Internat wegen der Corona-Pandemie geschlossen wird und alle Schüler nach Hause in die Quarantäne fahren, sorgt das in den Familien für Sorgen und Hektik. Christiane Tauzhers Teenage-Tochter allerdings hat ein ganz spezielles Problem.

Als das Schminktäschchen Anfang letzter Woche in einem Schuhkarton seine Reise nach Salzburg antrat, wusste ich noch nicht, dass die Schule, in der die Wombi lernte und lebte, dicht machen würde. Ja, vor zehn Tagen waren die, die meinten, dass „an der normalen Grippe“ jedes Jahr viel mehr Menschen sterben würden und dass dieses Corona-Dings reine Panikmache sei, noch in der Überzahl.

Christiane Tauzher: Die Pubertäterin

Seit die Pubertät unsere Tochter, die Wombi, kurz nach ihrem 13. Geburtstag in ihre Gewalt bekommen hat, halten wir die Fenster geschlossen, damit die Nachbarn nicht die Polizei rufen. Die Pubertäterin ist laut und unberechenbar, wenn sie nicht gerade wie ein Wombat schläft oder isst – was sie zum Glück oft tut.

Die Geschichten, die ich – Journalistin, 41, aus Wien, verheiratet mit Olaf, 46 – hier erzähle, handeln natürlich nicht von der Pubertäterin in meiner Familie. Nein. Sie entspringen meiner blühenden Fantasie oder stammen aus anderen Familien. Dort geht es nämlich arg zu – in den anderen Familien ...

Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, der Wombi ihre Schminksachen hinterherzuschicken. Eine halbe Stunde, nachdem sie in den Zug nach Salzburg gestiegen war, rief sie mich mit belegter leiser Stimme an. „Nein, leider“, sagte ich, „ich kann es dir diesmal nicht schicken.“ Die Wombi stimmte jetzt eine Art Klagegesang an. „Ich schicke dir jede Woche irgendetwas“, verteidigte ich mich, „Diesmal nicht. Irgendwann musst du lernen, dass man sich die wichtigen Sachen aufschreiben muss. Das nennt man dann Liste.“ Die Wombi brachte nur einen Seufzschluchzer zustande. „Du wirst es überleben“, sagte ich zur Verabschiedung. Die Wombi bebte jetzt. „Nein, werde ich nicht“, zeterte sie. „Warum borgst du dir die Schminksachen nicht von deiner Zimmerkollegin aus?“, fragte ich total naiv. „Pfffffffff“, schnaubte sie, „keiner hat meinen Hautton. Die Sachen der anderen sind unbrauchbar für mich.“ Ich sagte an dieser Stelle nicht, dass sie mit ihren 15 Jahren eine pfirsichpralle Haut im schönsten Alabasterrosé ihr Eigen nennt, die keine  Bemalung nötig hat. Das wäre nicht gut angekommen. „Du schickst es mir also wirklich nicht?“, fragte sie. „Nein“, sagte ich, „es tut mir wirklich l...“ Aber das hörte die Wombi nicht mehr. Ich sprach ins Leere.

Oh, ich fühlte mich in diesem Moment mies. Was war ich nur für eine elende Gouvernantenmutter, deren Zeigefinger vom vielen Erheben schon ganz steif geworden war. Ich vergesse auch viel. Trotz Listen. Die Wombi ist 15, keine 15-Jährige schreibt Listen. Normale 15-Jährige dürfen vergesslich sein. Also warum um alles in der Welt sollte ich ihr das überlebenswichtige Schminktäschchen nicht schicken?

Es gab mehrere Gründe. Meine Mutter wird sagen: „Christiane, so lernt sie es nie, sich zu organisieren und weniger schlampig zu sein.“ Der Olaf wird sagen: „Letzte Woche der Spindschlüssel, diese Woche das Make-Up, nächste Woche der Taschenrechner? Wo soll das hinführen? Irgendwann musst du sie anrennen lassen.“ Ja, irgendwann.

Abends schrieb ich der Wombi eine Nachricht. “Gut angekommen (Herzemoji)?“ Antwort: „Ja“.

In dieser Nacht schlief ich schlecht. Gleich nachdem ich den Bruder der Wombi im Kindergarten abgeliefert hatte, packte ich das prallgefüllte Schminktäschchen in einen Karton. Als meine Mutter anrief, bei der die Wombi mit ihrer Bitte ebenfalls auf Granit gebissen hatte, zögerte ich wieder. „Schick es ihr nicht“, sagte meine Mutter. „Nein, das mach ich nicht“, beruhigte ich sie. Am frühen Nachmittag führte ich ein ähnliches Telefonat mit dem Olaf, der zuvor schon von meiner Mutter bearbeitet worden war. Ihr herzlosen Leute, dachte ich und brachte das Schminktäschchen gegen jede Vernunft auf die Post. „Express“, sagte ich und zahlte den stolzen Preis von zehn Euro. „Es kann sein“, sagte der Postmann, „dass das Paket erst am Mittwoch ankommt. Sie hätten es früher bringen müssen.“ Ich seufzte und ärgerte mich über mich selbst.

Die schlimmstmögliche Folge einer Schulschließung

Am Dienstag rief mich die Wombi mit gebrochener Stimme an, um mir mitzuteilen, dass die Schule „vielleicht bald“ geschlossen werde. „Wie geht’s dir?“, fragte ich sanft. „Wie soll es mir schon gehen“, erwiderte die Wombi, die so niedergeschlagen klang wie ein Gefangener in Einzelhaft, der seit Monaten nicht die Sonne gesehen hat. Ich beschloss die Katze aus dem Sack zu lassen. „Deine Schminksachen sind auf dem Weg zu dir“, sagte ich, „spätestens morgen solltest du sie haben.“ Die Reaktion der Wombi war herzzerreißend. Sie überschlug sich vor Dankbarkeit und Liebesbekundungen. Das Band zwischen uns war wieder neu geknüpft. Der Olaf und meine Mutter konnten mich in diesem Moment gern haben.

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"Ich sage es jetzt zum allerallerletzten Mal! Storys aus dem fast perfekten Alltag einer Mutter", von Christiane Tauzher, Goldegg Verlag, 14,95 Euro

Mittwoch früh rief  die Wombi mit panischer Stimme an: „Es wird immer wahrscheinlicher, dass die Schule zusperrt.“ Ich interpretierte ihre Aufgewühltheit falsch: „Es ist verständlich, dass das eine schwierige Situation ist. Aber das ist ja nicht für ewig.“ Kurz war es still in der Leitung. Ich hörte, wie die Wombi Luft holte. „Was, wenn wir heute schon nachhause fahren müssen und das Schminktäschchen nicht rechtzeitig ankommt? Es wäre besser gewesen, du hättest es mir nicht geschickt.“

Die Schule stellte erst am Freitag den Betrieb ein. Die Wombi holte das Schminktäschchen heil nachhause. Seither sitzen wir daheim und vertreiben uns die Zeit. Wenn die Wombi manchmal unter uns weilt, dann perfekt geschminkt.

„Wozu?“, wollte ich wissen.

Wombi: „Es ist wichtig in so einer Phase der Isolation seinen Rhythmus beizubehalten.“

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