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C. Tauzher: Die Pubertäterin Die Teenagerin ging für uns auf einen Ball – und kam mit einer riesigen Taxirechnung nach Hause

Junges Paar macht ein Selfie auf einem Ball
Was tut man nicht für seine kranken Eltern ... zum Beispiel auf einen Ball gehen
© Getty Images
Wenn Christiane Tauzher und ihr Mann krank daniederliegen, muss die Teenager-Tochter auch mal Opfer bringen – zum Beispiel statt ihrer Eltern auf einen Ball im Wiener Konzerthaus gehen. Der verlief dann etwas anders, als die Erwachsenen geplant hatten ...

Vergangene Woche, als wir grippal infiziert daniederlagen, erbot sich die Teenagerin, an unserer statt auf den Bonbonball zu gehen. Der Opernball mag der berühmteste Ball Wiens sein, der Bonbonball ist der lustigste und der einzige, für den das Wiener Konzerthaus seine Sesselreihen abbaut. Jedes Jahr genießen wir, der Olaf und ich, das Getümmel unterm Schokoschirm als stolze Ehrengäste. Wir sacken kiloweise Süßigkeiten ein und tanzen beseelt unterm Goldplafond (Plafond = österr. für Decke eines Raumes) , von dem jede Stunde rosa Ballone auf die Tanzenden schweben, die mit allerlei großen und kleinen Schätzen gefüllt sind. Für den Olaf und für mich ist es jedes Jahr der Höhepunkt des Faschings.

Christiane Tauzher: Die Pubertäterin

Seit die Pubertät unsere Tochter, die Wombi, kurz nach ihrem 13. Geburtstag in ihre Gewalt bekommen hat, halten wir die Fenster geschlossen, damit die Nachbarn nicht die Polizei rufen. Die Pubertäterin ist laut und unberechenbar, wenn sie nicht gerade wie ein Wombat schläft oder isst – was sie zum Glück oft tut.

Die Geschichten, die ich – Journalistin, 41, aus Wien, verheiratet mit Olaf, 46 – hier erzähle, handeln natürlich nicht von der Pubertäterin in meiner Familie. Nein. Sie entspringen meiner blühenden Fantasie oder stammen aus anderen Familien. Dort geht es nämlich arg zu – in den anderen Familien ...

Doch heuer lutschten wir Halswehtabletten statt Schokobonbons.

Gönnerhaft wie eine gelangweilte Herrscherin, für die das ganze Leben aus glamourösen Veranstaltungen besteht, nahm die Wombi unser Kranksein sowie die dadurch freigewordenen Eintrittskarten ohne sichtbare Emotion zur Kenntnis. "Okay", war alles, was sie sagte. "Freust du dich gar nicht?", fragte ich. "Doch", sagte sie, "dir kann man es auch nie recht machen."

Ein junger Mann war als Begleiter rasch organisiert. Ich hatte das Kleid der Wombi aufgebügelt, Balltasche, passende Schmuckstücke und Schuhe herausgesucht. Es war ein bisschen wie im amerikanischen Film, wo der herausgeputzte Junge das herausgeputzte Mädchen von zuhause abholt, sie die Treppe herunterschreitet, er ihr lächelnd am Treppenabsatz einen Armschmuck aus Blumen anlegt und die Eltern ein Foto vor dem Kamin machen. Bei uns kam der junge Mann recht spät daher, die Wombi saß bei seinem Eintreffen bereits im Erdgeschoss und war mit der Frage beschäftigt, ob sie noch etwas essen sollte oder nicht. Großen Treppenauftritt gab es deshalb keinen. Das Foto machten wir in Ermangelung eines offenen Kamins vor dem ausgestopften Kugelfisch, und die Wombi drängte darauf das Haus schnellstmöglich zu verlassen. "Und vergesst nicht viele Süßigkeiten mitzubringen," krächzte ich mit belegter Stimme. Der kleine Wombi-Bruder war mit einem Lächeln bei dem Gedanken daran eingeschlafen, dass ihn anderntags zum Frühstück eine Tüte voller Süßigkeiten erwarten würde. Meinen Vorschlag, zur Sicherheit eine Mandarinen-große Nylon-Falttasche mitzunehmen, quittierte die Wombi mit hochgezogenen Augenbrauen. "Nein, danke", sagte sie und es klang so verächtlich, als hätte ich ihr Gummistiefel zum Ballkleid empfohlen.

"Hier hast du einen 100-Euro-Schein", sagte ich, "kleiner habe ich es nicht. Bitte bring mir das Restgeld vom Taxi zurück." Die Wombi nickte und rollte kurz mit den Augen, als wäre der Gedanke total abwegig, dass sie auf die Idee kommen könnte die ganzen hundert Euro auszugeben. "Und bitte such' den Heinz (Organisator des Balles), sag ihm dass wir leider krank sind und dass du dass du dich freust, heute hier sein zu dürfen. Jeder kennt ihn auf dem Ball. Er ist leicht zu finden." Die Wombi versprach es und zog mit ihrem Begleiter von dannen.

Pünktlich um 2 Uhr früh hörte ich die Wombi heimkommen. "Gutes Kind", dachte ich noch, bevor ich mich dem Schlaf hingab, den ich bis zur Rückkehr der Wombi unterdrückt hatte.

In Allerherrgottsfrüh wurde ich vom Mini geweckt. "Komm schnell", rief er aufgebracht, "die Schokolade ist nicht da." Tatsächlich, der Sack mit den Süßigkeiten, den die Wombi vom Ball mitgebracht hatte, war nirgends zu finden. "Vielleicht hat sie ihn in ihr Zimmer mitgenommen?", sagte der Mini. Auf Zehenspitzen schlichen wir in Wombis Höhle. Doch auch hier: nichts.

Auf dem Küchentisch lagen 20 Euro und eine Taxirechnung. Die Wombi hatte 80 Euro ausgegeben? 30 Euro Fahrtkosten wären realistisch gewesen.

Was war passiert?

Wir mussten uns bis zur Aufklärung gedulden. Um die Mittagszeit tauchte die Wombi auf und war nicht in Redestimmung.

"War es schön?", fragte ich.
Wombi: "Ja."  
Ich: "Wo sind denn die Süßigkeiten?"
Wombi: "Wir haben keinen Sack mehr bekommen. Waren alle aus." – (Entsetzensschrei Mini)
Ich: "Hast du nicht mal ein winzige Süßigkeit für deinen Bruder mitgenommen?"
Wombi: "Nein, ich habe alles aufgegessen." – (Mini weint)
Ich: "Hast du dem Heinz bescheid gesagt, dass wir krank sind?"
Wombi: "Nein, ich habe ihn nicht gefunden."
Ich: "Das gibt's doch nicht..."
Wombi: "Er war nicht da!" (Was sollte der Organisator des Balles auch auf dem Ball?)
Ich: "Und wozu hast du 80 Euro gebraucht?"
Wombi: "Das war nicht meine Schuld, der...."  - (Mini weint nun so laut, dass der Rest des Satzes nicht verständlich ist.) "Das ist mir hier zu blöd – ich gehe wieder ins Bett."

Mehr von Christiane Tauzher

"Ich sage es jetzt zum allerallerletzten Mal! Storys aus dem fast perfekten Alltag einer Mutter", von Christiane Tauzher, Goldegg Verlag, 14,95 Euro

Nachdem ich trotz anhaltenden Hustens und erhöhter Temperatur mit dem Mini einkaufen war – Kekse, Schokolade, Gummizeug – befragte ich die Wombi erneut, wohin meine 80 Euro geflossen waren. Es stellte sich heraus, dass ihr Begleiter seinen Wohnungsschlüssel in Wombis Balltasche vergessen hatte. Als jeder des Nachts vor seiner Tür stand – der junge Mann wohnt 25 Kilometer entfernt von uns – rief die Wombi ein Taxi, das den Schlüssel ans andere Ende der Stadt brachte. "Was hätten wir anderes tun sollen?", fragte sie theatralisch. Mir fielen mindestens zwei kostenschonendere Lösungen ein. Die Wombi ging an dieser Stelle wieder schlafen.

Ich aß mit dem Mini eine ganze Packung Gummibären. Die beruhigten uns.

Der Olaf, der erst jetzt zu uns gestoßen war, meinte in seinem angeschlagenen Zustand, dass es doch nett wäre, wenn wir nächstes Jahr zu dritt – Eltern plus Wombi - auf den Bonbonball gehen würden.

Der Entsetzensschrei kam diesmal von mir.

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