Ach, es muss an diesen Wochen im Zirkus liegen. Jung war sie damals, lebte in München und schwebte als Hippie-Elfe durch die Nacht. Und dann kam der Abend im Zirkus Roncalli, das blonde Mädchen saß in der ersten Reihe und sah einem Leben zu, das sie leben wollte. "Ich habe sofort beschlossen mitzumachen", sagt Ellen von Unwerth heute. Es war eine Art poetischer Zauber unter dieser Zirkuskuppel, der sich damals in ihrer Gedankenwelt festsetzte. Ein paar Wochen fuhr sie mit, brachte dem Clown die Keulen in die Manege und reichte dem Messerwerfer die polierten Messer. Die Welt wurde ihr zum Spiel, die Menschen darin waren Clowns, Dompteure und eben Messerwerfer.
Kindisch? Selbstverständlich. Aber so kindisch, wie es alle, die jung sind, noch einmal ausprobieren, kurz bevor der berüchtigte Ernst des Lebens beginnt und sie in grauen Anzügen und blauen Kleidern in Büros sich der Mechanik des Alltags ergeben.
Nicht so Ellen. Der Zirkus blieb ihr im Kopf, sie wurde ein erfolgreiches Model, nahm eines Tages 1986 in Afrika die Kamera eines Fotografen in die Hand, fotografierte so ganz en passant fünf, sechs Filme voll und gehört seitdem zu dem Dutzend Fotografen, die einem einfallen, wenn man an gute Fotos denkt.
Sie entdeckte die Bardot im Gesicht von Claudia Schiffer, sie fotografierte so eigenwillig und kraftvoll, dass manche Werbekunden sich fragten, nur leise natürlich, warum denn der Schuh oder die Tasche, um die es ging, nur am Bildrand zu sehen war. Und Ellen von Unwerth erfand einen Stil, Nacktheit zu fotografieren, der bei allen männlichen Foto grafen den klebrigen Verdacht der Pornografie erzeugt hätte.
Wie auch die französische Fotografin Bettina Rheims wurde Ellen von Unwerth zur Bildnerin einer feministischen Erotik. "Wenn die Mädchen sich bei mir ausziehen, ist immer großer Spaß dabei, es ist ein Spiel, und es gibt hinter der Kamera keinen gierigen Blick, wie ihn vielleicht Männer haben könnten."
Heute ist Ellen von Unwerth 48, lebt in Paris und ist Mutter einer Tochter. Sie ist groß gewachsen, ihre blonden Haare sind schwer zu bändigen. Sie erzählt laut, fließend, mit rudernden Armen und wasserfallartigen Lachanfällen dazwischen. Ihr Mundwerk ist berühmt: Als einmal der Designer Ungaro sie auf dem Laufsteg anmeckerte, ob sie nicht schleichen könne wie ein Tier, bellte Ellen zurück: "Nein, aber ich kann brüllen wie ein Tier."
Wenn sie das erzählt, wirkt sie wie eine Besessene, und wenn man auf ihre Bilder zu sprechen kommt, spürt man, wie sie nichts mehr fürchtet als Ruhe und Stillstand ihres fotografischen Auges. Sie will weiterspielen, weiterinszenieren, flüchtige Geschichten zu Bildern machen. Fantasien, denkt sie, sind optische Manöverplätze der Seele, die Ellen von Unwerth ans Licht holt.
"Revenge" heißt ihr neus Buch, ein Fotoroman um sexuelle Macht, erotisches Spiel und Befreiung. Anders gesagt: ein Sado-Maso-Karneval, der die Riten der Gewalt, des Fesselns und der Erniedrigung ironisieren und veralbern will. "Wir hatten sehr viel Spaß bei der Produktion", sagt Ellen, es sei viel gekichert und gelacht worden. "Es ist ein ganz einfaches, altes Motiv der erotischen Fantasie. Die Macht, die Opfer, die Lust zu quälen und die Lust gequält zu werden.
Doch anders als bei der "Geschichte der O" oder de Sade befreien sich bei mir die Opfer und holen sich die Macht zurück", sagt sie. "Revenge" eben. Ein Drehbuch habe sie sich vorher ausgedacht, an das man sich bei der Produktion in den Schlossparks vor den Toren von Paris auch weitgehend gehalten habe.
Aber wie immer, wenn Unwerth fotografiert, entstanden die meisten Bilder in den uninszenierten Momenten, "dann, wenn die Hülle der Pose von den Mädchen fällt. Dann sind sie freier und natürlicher". Und so ist die Geschichte der Mädchen, die für ein Wochenende auf ein Landschloss fahren, sich dort ihren sexuellen Albernheiten hingeben und vom Personal zur Arbeit auf Feld und im Stall in Unterwäsche und hohen Hacken gezwungen, schließlich gefesselt und geschlagen werden, sich den Schlüssel zu den Ketten klauen, sich befreien und am Ende das Personal in Fesseln legen, eine heute gewagte Fantasie - wenn Männer sie inszenieren. Mit der zirkushaften Übertreibung und der Leichtigkeit von Unwerths schnellen Bildern wird daraus ein Spiel. Auch bei Unwerth liegen, mit den Worten des Dichters Jean Paul gesagt, wie bei allen "fantasiereichen Menschen alle Extreme eng beieinander". So eng,dass für die graue Wirklichkeit kein Raum bleibt. Wozu auch? Auch das Leben in einer Manege ist schön.