Vor einigen Jahren stellte er einmal ein paar Bilder einer neuen Produktion an die Wände seines New Yorker Studios. Es waren große Farbprints von einer Frau, die in einem Zimmer auf einem Bett oder auf einem Tisch lag und mal puppenhaft erstarrt, mal wie ein Gummimensch verknotet war, irgendwie zwischen Yoga und Sadomaso. Die Inszenierung hatte etwas Düsteres, das Zimmer war schäbig, und die Frau wirkte wie eine Gefangene, die Luft wie überheizt. Viele kamen in das Studio: Boten, Freunde, Lieferanten, alle schauten auf die Bilder, immer aufs Neue, als ob das Gesehene sie nicht losließe, und gingen wieder. Steven Klein sagt noch heute, wie sehr es ihn freute, dass kaum jemand sofort Madonna auf den Bildern erkannte: "Das war großartig, niemand juchzte herum, oh, das ist ja Madonna!."
Ähnlich verunsichert schauten vergangenes Jahr auch die Redakteure der Modebibel "W" auf einen Stapel Bilder, die Steven Klein ablieferte. Ein Paar war zu sehen, mal spießig mit Kindern am Esstisch, mal noch spießiger im Vorgarten einer Vorstadtsiedlung. Die Bilder rochen nach Haarspray, Rasenmäher und 60er Jahre, nach heiler Welt und Lebenslüge zugleich. Erst beim zweiten, dritten Hinsehen erkannte man Brad Pitt und Angelina Jolie, damals im ersten Orkan von Liebesgerüchten, und die Aufnahmen kommentierten ironisch vorab, was Wochen später die Klatschspalten auf der ganzen Welt berichten sollten. "Die Bilder", sagt Klein, "haben dem Klatsch ins Gesicht geworfen, was anfangs nur geflüstert wurde." Sie waren eine Provokation, die das Indiskrete entmachteten, "und sie waren Brad Pitts Idee, wir haben das dann gemeinsam weitergedacht." Sie sind Ereignisse, die Bilderstrecken des 41-jährigen Amerikaners. Zeitschriften wie "W" oder "Vogue" überlassen ihm 15, 20, manchmal 40 Seiten, um seine Welt aufzublättern, oft wird sein Name größer und mit mehr Ausrufezeichen gedruckt als die Namen der Prominenten, die er in seinen Bildern verarbeitet. Ja, verarbeitet ist das richtige Wort, denn Kleins Kunstgriff liegt in der Respektlosigkeit, mit der er Weltstars wie Madonna, Brad Pitt, Prince oder Justin Timberlake zum Material seiner Inszenierungen macht. Er schmeißt all den Glitzer, die Eitelkeit und das blendende Image dieser Ikonen der Popkultur weg und flicht sie danach wie optische Spielmasse in seine Bilder ein - Pitt als Spießer, Madonna als Menschenknoten, Timberlake als blutiger Verprügelter.
Man findet in Kleins Bildern die Entdeckung des Philosophen Roland Barthes bestätigt, dass sich die Fotografie über das Theater und nicht über die Malerei mit der Kunst verbindet: Seine Fotos sind nicht optische Flächen, sondern Bühnen, auf denen er wie kein Zweiter Weltstars seine Kommentare zu Pop, Mode und Moral spielen lässt. "Mich interessieren Menschen wie Brad Pitt oder Madonna nicht, weil sie so berühmt sind. Mich interessieren sie, weil sie sich in meine Bilder hineinmorphen und bereit sind, meinen Weg zu gehen", sagt Klein.
Warum das so ist? Wie er das schafft, Super-Egos zu Statisten seiner Welt zu machen? "Keine Ahnung", sagt Klein, "vielleicht sehen sie in meinen Arbeiten eine Chance, die düstere Seite ihrer Wünsche auszuleben. Alle Bilder denke ich mir mit ihnen zusammen aus, zwingen kann ich niemanden."
Düster. Schatten. Provokation. Das sind Wörter, die Steven Klein oft benutzt, um die Rezeptur seiner Bilder zu beschreiben. Klein kann das, untypisch für einen Fotografen, alles sehr genau erzählen, seine Fotos sind Ergebnisse vielschichtiger Überlegungen, fast wie Theaterstücke mit Sprechrollen und Regieanweisungen. Keines seiner Bilder ist Stillstand, es gibt immer ein Vorher und vielleicht ein Nachher, was der Betrachter nicht sieht, was sich aber im Kopf weiterentwickelt. Der Frauentorso mit Operationsnarben an den Brüsten auf einer Plastikplane auf einer Wiese - eine Badende oder eine Leiche? Der Junge mit dem Handschuh, der sich eine Pistole in den Mund schiebt - drückt er ab, oder macht er nur Spaß?
David Beckham auf einem Bett kniend - Star oder Stricher? Was an Kleins Bildern beeindruckt, ist seine sichere Hand, die Regler bis knapp zum Schäbigen zu drehen. Aber eben nur knapp. "Er hat immer den Glamour des Schäbigen, aber es ist eine gut kalkulierte Schäbigkeit, nie entfremdend und immer mit dem besten Licht und Make-up inszeniert, das Zeitschriften bezahlen können", urteilte das Magazin "New York".
Eigentlich wollte Klein, geboren 1965 in Boston, Maler werden. Aufgewachsen als Sohn einer Erzieherin und eines Textilkaufmanns, träumte sich das Kind in große Ateliers mit großen Leinwänden und Farbtöpfen hinein. Als er allerdings mit 14 die erste Kamera in die Hand bekam, "fing ich sofort an, Details wie einen Ast oder eine Blume zu fotografieren". Für ihn - wie für viele Kollegen, die Maler werden wollten - war die Fotografie eine Art Abkürzung zum kreativen Ergebnis. "Mich faszinierte aber nicht nur das Klicken der Kamera, sondern der Vorgang in der Dunkelkammer, dieses Entstehen eines Bildes, dieser chemische Prozess", der ihm dann doch wieder fast wie Malerei vorkommt. Mit 20 ging Klein, um Malerei zu studieren, auf die Rhode Island School of Design, kurz darauf zog er nach New York.
Das war Mitte der 80er Jahre, und in der Stadt hatte sich längst ein Kunst-Establishment eingerichtet, in das schwer einzusteigen war: "Ich merkte schnell, dass ich als Maler zu schlecht war, und musste irgendwie anders Geld verdienen." Der fotografische Autodidakt hielt sich mit kleinen Aufträgen über Wasser und ging schließlich nach Paris, wo er für Dior zum ersten Mal Kosmetik fotografierte.
Zurück in New York galt Klein dann jahrelang als fotografischer Exot, der sich der Glätte der Modefotografie entzog und stattdessen immer wieder irritierende, verstörende Aufnahmen machte, die den Blick einen Moment länger festhalten als die immer gleichen Bilder der kommerziellen Fotografie mit ihren samtenen Gesichtern und lächelnden Posen. Auch im Äußeren dokumentierte er seine Außenseiterrolle. Noch heute kann es passieren, dass man in seinem Studio im New Yorker Meatpacking District lange nach ihm suchen muss, weil er in Jeans und Pullover so aussieht wie der Bote oder der Assistent an der Blitzanlage.
Steven Kleins Zeit kam Ende der 90er Jahre. Die Modeblätter waren den ewigen Glamour und Trash satt und suchten wieder fotografische Erdung mit einer Wirklichkeit, die sich vor allem nach dem 11. September 2001 als brutal und krisengeschüttelt erwies. Kleins Fotografie - aggressiv und professionell zugleich - traf genau den Nerv dieser Zeit, seine Bilder wurden irritierende Statements in der ansonsten eher angepassten Welt der Fashionistas. Mit Klein- Fotos zeigten die Blätter, dass auch sie ein politisches Bewusstsein hatten - oder sie taten zumindest so.
Klein kennt die Alibi-Funktion seiner Bilder. "Das Frustrierende an der Mode ist, dass du als Fotograf immer mehr von dem zeigen willst, was auf der Welt oder auf der Straße passiert. Du willst nicht Träumereien mit diesen Barbie-Models zeigen, weil es sie einfach nicht mehr gibt." Ein wenig misstrauisch hört er sich denn auch die Sätze der US-"Vogue"-Chefin Anna Wintour an, die etwas weitschweifig behauptet, "große Modefotografie hat immer einen Dreh, das Auge einzufangen. Bei Steven Klein ist es so, du gibst ihm ein Kleid und bekommst ein Mädchen im Kleid mit Robotern in einem Garten zurück. Das ist clever, konzeptionell und lyrisch". Klein sagt es knapper: "Nur wenn das Foto kraftvoller ist als das Kleid, ist es ein gutes Foto" - ein Credo, das die Modeindustrie wohl eher kopfschüttelnd akzeptieren würde.
Aber allzu ausführlich möchte Klein ohnehin nicht über seine Arbeiten sprechen, denn er findet, je mehr interpretiert und diskutiert wird, desto mehr verlieren die Bilder an Magie. Bisher hat er sich solchem Feuilleton entzogen, er sagt sogar, "das beste Bild wäre eines, auf dem man nicht mehr erkennt, dass ich es gemacht habe". Das Werben der Kulturwelt, ihn zu einem Künstler zu adeln, erreicht ihn nicht. Er hört weg. Nur einmal, als Madonna ihn öffentlich "einen Künstler, keinen Modefotografen" nannte, wehrte sich Klein ungewöhnlich deutlich: "Ich werde das, was ich mache, nie Kunst nennen. Nie." Mit derselben demonstrativen Sachlichkeit spricht Klein auch über die Werkzeuge seiner Arbeit. Nein, er hat kein sentimentales Verhältnis zu seinen Kameras, und ja, er könne sich auch tagelang ohne so einen Apparat bewegen, was viele andere Fotografen nicht können. Kameras, Lichter, Blitzanlagen sind für ihn notwendige Mittel, um Bilder herzustellen, als Technik-Freak würde er sich nie betrachten: "Ich hab das Wissen, das ich brauche, und das reicht mir." Bilder machen - das ist alles, was er will, egal, ob in Groß- oder Kleinformat, ob in Farbe oder Schwarzweiß, ob digital oder analog. Man kann mit Steven Klein keine dieser Unterhaltungen „Ich schwöre auf Hasselblad“ oder so führen. "Alles, was mir hilft, das zu übersetzen, was ich sehe, interessiert mich."
Und noch mehr interessiert ihn, sich von der Enge der Fotografie zu befreien. Ja, Enge, denn einer, der wie Klein über immer mehr Elemente seiner Bildgeschichten nachdenkt und sie immer ironischer und kunstvoller miteinander verknüpft, dem wird das bloße Foto bald zu klein, und die Ränder der Bilder müssen ihm wie Zäune vorkommen. Für Madonnas jüngste Tournee hat Klein schon die Videoinstallationen gemacht, laufende Bilder haben den Platz, den seine Ideen brauchen. "Er denkt cinematografisch", sagt Dennis Freedman vom Magazin "W", "wenn Steven arbeitet, sieht es schon aus wie beim Film." Und obwohl Klein nicht darüber spricht, ahnen viele, dass es vielleicht schon im nächsten Jahr so weit sein wird. Ein Steven-Klein-Film. Mit großen Schauspielern. Brad Pitt vielleicht, Angelina Jolie oder Madonna. Man wird sie nur nicht gleich erkennen.