Auch ein Telefongespräch mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am heutigen Montagnachmittag konnte den Holocaust-Überlebenden Albrecht Weinberg nicht umstimmen: Er wird sein Bundesverdienstkreuz zurückgeben. Dies sagte Weinberg dem stern.
Hintergrund der Entscheidung ist die Bundestagsabstimmung von Ende Januar, in der die Union mit Stimmen der AfD einen Antrag zur Migrationspolitik durchgebracht hatte. Weinberg erklärte dem stern, er sei noch immer schockiert über das Ergebnis und wolle Konsequenzen ziehen. Es sei keine leichte Entscheidung gewesen, das Bundesverdienstkreuz sei eine hohe Ehre für ihn.
Albrecht Weinberg erhielt die Auszeichnung für "versöhnenden Einsatz"
"Es ist aber zu schwer geworden, es zu tragen", sagte Weinberg. "Ich bin das den Toten der Konzentrationslager schuldig. Ich tue das aus Verantwortung für meine Cousinen, Tanten, Onkel und für meine Eltern, die in Auschwitz vergast wurden." Mit Rechtsextremisten arbeite man nicht zusammen, so Weinberg. Er habe an eigener Haut erlebt, wohin das führe.
Albrecht Weinberg hatte das Bundesverdienstkreuz "für versöhnenden Einsatz" verliehen bekommen. Unermüdlich berichtet er Schulklassen von den Schrecken des Nationalsozialismus. Am 7. März wird er 100 Jahre alt.
Das Gespräch mit dem Bundespräsidenten war laut Weinberg freundlich. Steinmeier habe Verständnis für seine Reaktion geäußert – aber ihn auch gebeten, seine Entscheidung zu überdenken.
Kurz nach dem Gespräch sagte Weinberg dem stern jedoch, er sei es den Schülerinnen und Schülern schuldig, an seiner Entscheidung festzuhalten: "Ich sage ihnen immer: Macht den Mund auf gegen die rechte Gefahr. Dann muss ich auch selbst ein Zeichen setzen." Sein Bundesverdienstkreuz habe er dem Mannheimer Fotografen Luigi Toscano mitgegeben, der sich am Dienstag mit Steinmeier trifft und es ihm überreichen soll. Auch Toscano hatte erklärt, er werde seine Auszeichnung aus Protest gegen die Abstimmung zurückgeben.
Auch ohne Bundesverdienstkreuz will Weinberg sein Engagement fortsetzen. "Ich gehe in den letzten zehn Jahren in Schulen und spreche zu Schülern, was sein kann und was sein würde, wenn Rechtsradikale die Macht wieder übernehmen. Ich will nicht, dass meine Arbeit umsonst ist", sagte Weinberg.

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Weinberg überlebte die drei Konzentrationslager Auschwitz, Mittelbau-Dora, Bergen-Belsen und mehrere Todesmärsche. Seine jüdische Familie wurde von den Nazis fast vollständig ermordet. 2012 kehrte er zusammen mit seiner Schwester aus den USA zurück in seine ostfriesische Heimat. Seitdem berichtet er Schülerinnen und Schülern von seinen Erinnerungen und hält Lesungen aus seiner Biografie, die in der vergangenen Woche wieder in die Spiegel-Bestsellerliste einstieg.
Transparenzhinweis: Der Autor hat gemeinsam mit Albrecht Weinberg dessen Biografie verfasst.