Der Sportschütze Philipp F. erschoss im März 2023 sieben Menschen und sich selbst. Einer Schwangeren schoss er in den Bauch. Sie überlebte schwer verletzt, verlor ihr Kind. Es war das achte Opfer.
Die Polizei war vor Philipp F. gewarnt worden. Straftaten zu verhindern, ist eine Kernaufgabe der Polizei. Die Hamburger Polizei hat diesen Amoklauf nicht verhindert. Rechtliche Konsequenzen wird das nicht haben. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hat das Verfahren gegen den Polizeibeamten der Waffenbehörde eingestellt. "Der … begründete Tatverdacht einer fahrlässigen Tötung in sechs Fällen sowie der fahrlässigen Körperverletzung im Amt in elf Fällen ließ sich … nicht mit hinreichender Sicherheit erhärten", schreibt die Generalstaatsanwaltschaft in einer Pressemitteilung. Der Beschuldigte habe "zwar gegen seine beamtenrechtlichen Pflichten verstoßen". Aber auch "bei ordnungsgemäßem Handeln hätte die Waffe von Philipp F. … nicht zwingend vor dem 9. März 2023 eingezogen werden müssen."
In Hamburg ist nach den Buchstaben des Gesetzes also angeblich alles korrekt gelaufen. Es gibt keine Schuldigen. Der Polizist hat zwar als Beamter versagt. Aber das bleibt ohne Folgen. Wer soll das verstehen? Nach den Buchstaben des Gesetzes mag das sauber subsumiert sein. Ein Skandal bleibt es trotzdem.
Der Bruder des Amokschützen hatte am 16. Januar 2023 – sieben Wochen vor dem Amoklauf – beim Hanseatic Gun Club angerufen, dort, wo sein Bruder Philipp F. Schießen gelernt und geübt hatte. Sein Bruder sei psychisch krank und solle besser keine Waffe haben, warnte er sinngemäß. Ein Mitarbeiter des Clubs verständigte einen Polizeibeamten, der in der Waffenbehörde arbeitete. Er war auch Schießtrainer im Club gewesen. Der Polizist war gerade nicht im Dienst, riet seinem Schießkumpel, dem Bruder zu sagen, er solle der Waffenbehörde schreiben oder dort anrufen und möglichst detaillierte Angaben machen – auch anonym. Der Bruder schrieb also einen anonymen Brief an die Waffenbehörde und warnte wieder: Sein Bruder sei psychisch krank. Er leide unter Verfolgungswahn und solle möglichst keine Waffen haben.
Polizist schwieg über das Telefonat
Der Polizist, der zuvor informiert worden war, schwieg über das Telefonat, sagte in der Behörde nichts davon, dass der Bruder hinter dieser Warnung steckte. Tat, als wüsste er von nichts. Hätte er nicht geschwiegen, sondern gesagt, dass die Warnung vom Bruder stammte, hätte die Waffenbehörde den Bruder womöglich angerufen. Die Beamten hätten die ganze Vorgeschichte erfahren können – dass Philipp F. bereits in der Psychiatrie behandelt worden war. Und dass der Vater schon den Sozialpsychiatrischen Dienst in Hamburg alarmiert hatte. All das erfuhr die Waffenbehörde nicht. Weil der Polizist sein Wissen für sich behielt. Daher wurde nur eine Kontrolle bei Philipp F. zu Hause angeordnet.
Zwei Beamte der Waffenbehörde, die in Hamburg zur Polizei gehört, suchten Philipp F. am 7. Februar – also rund vier Wochen vor dem Amoklauf – in seinem Apartment in Hamburg-Altona auf. Seine Wohnung war aufgeräumt, die Waffen waren verschlossen im Tresor. Nur eine Patrone lag herum. Philipp F. entschuldigte sich. Die Polizisten verwarnten ihn mündlich. Die Beamten plauderten noch ein bisschen mit ihm über seine Wohnungseinrichtung und zogen wieder ab. Die rechtlichen Möglichkeiten seien damit ausgeschöpft gewesen, betonte die Hamburger Polizei. Es hätte keinerlei Anhaltspunkte gegeben, "die auf eine psychische Erkrankung hätten hindeuten können." Eine laienhafte Diagnose.
Die Polizei wartete ab – bis es zu spät war
Sportschützen sind verpflichtet, Waffen und Munition ordnungsgemäß aufzubewahren. Ob eine Patrone, die herumliegt, reicht, um jemanden die Waffe wegzunehmen, ist juristisch umstritten. Gerichte urteilen unterschiedlich. Doch die Hamburger Polizei hatte auch den Brief des Bruders, der erkennen ließ, dass der Schreiber viel über Philipp F. wusste, nämlich auch, dass er unter Verfolgungswahn litt. Die Polizei hätte das Waffenrecht streng auslegen können. Wenn sie Philipp F. die Waffen weggenommen hätte, hätte er klagen müssen. Doch die Polizei und Waffenbehörde warteten einfach ab. Bis es zu spät war.
Klar, Behörden müssen sich an Gesetze halten. Aber Gesetze sind auslegbar. Die Hamburger Polizei verlangte von Philipp F. nicht mal, obwohl das der nächste Schritt gewesen wäre, ein Gutachten, mit dem er hätte belegen müssen, dass er geistig in der Lage war, Waffen zu führen.
Die Hamburger Polizei tat einfach gar nichts.
Dabei ist sie sonst nicht zimperlich, ihre Befugnisse auszureizen, geht gerne an die Grenze des Zulässigen. "Sie können ja klagen", wies Hartmut Dudde, Einsatzleiter beim G-20-Gipfel in Hamburg 2017, Kritiker stets zurecht. Tatsächlich waren einige Maßnahmen der Polizei rechtswidrig, wie inzwischen gerichtlich festgestellt worden ist – so etwa bei der Räumung eines Protestcamps auf der Elbinsel.
Wenn es hingegen um Sportschützen geht, ziehen Polizisten und Sachbearbeiter der Waffenbehörde viel zu oft Samthandschuhe an und entscheiden im Zweifel für den Sportschützen. So auch in Hamburg. Auf Kosten von Menschenleben.