Weltfriedenstag "Nie wieder" heißt: Jetzt. Und überall.

Ein Gastbeitrag von Asif Malik
Panzer der Israel Defence Force stehen in der Nähe zum Gaza-Streifen in einer Schlange
Auch am Weltfriedenstag wird Israel die Kämpfe im Gaza-Streifen wohl kaum stoppen
© Amir Levy / Getty Images
Warum der Weltfriedenstag nicht nur an Frieden erinnern darf – sondern vor allem an unser Schweigen über die Kriege heute.

Ich erinnere mich an eine Gedenkveranstaltung, auf der wieder der Satz fiel: "Nie wieder Krieg." Alle klatschten. Kaum jemand fragte, was das heute heißt. Nie wieder – aber wir liefern Panzer. Nie wieder – aber wir lassen Menschen im Mittelmeer ertrinken. Nie wieder – aber wir akzeptieren, dass selbst Schulen und Krankenhäuser zu militärischen Zielen erklärt werden – solange es unsere Partner machen.

Ich bin Deutscher. Muslim. Vater von drei Töchtern. Ich schreibe diesen Text nicht, weil ich Historiker bin oder Pazifist. Sondern weil ich sehe, wie der Weltfriedenstag zur moralischen Pflichtübung verkommt – während das Töten weitergeht.

Der 21. September ist seit 1981 von den Vereinten Nationen als Internationaler Tag des Friedens ausgerufen worden – ein Tag, an dem weltweit der Gewaltlosigkeit gedacht und der Frieden beschworen werden soll. Ein Tag des Gedenkens, des Mahnens, des Schwurs: Nie wieder.

Weltfriedenstag auch für die Toten von heute

Doch was ist dieses "Nie wieder" heute noch wert, wenn es zu einer formelhaft beschworenen Vergangenheit wird – aber kaum Konsequenzen für die Gegenwart hat? Wenn wir der Toten von gestern gedenken, aber über die Toten von heute schweigen?

Wir leben in einem Europa, das Milliarden in Aufrüstung steckt, Waffen an Kriegsparteien liefert und an seinen Außengrenzen wegsieht, wenn Menschen ertrinken. Wie glaubwürdig ist unser Erinnern, wenn es nicht auch ein politisches Handeln gegen das Töten ist – ob in Mariupol, in Rafah oder im Sudan?

Asif Malik
© privat

Der Autor

Asif Malik ist Dipl.-Betriebswirt und MBA. In Hamburg führt er als Unternehmer ein Immobilienmaklerbüro und eine Personalberatung. Ehrenamtlich engagiert er sich seit 20 Jahren im interreligiösen Dialog und ist Mitinitiator zahlreicher integrativer Projekte.

Wir sind solidarisch mit der Ukraine – und indifferent gegenüber Gaza. Wir verurteilen Kriegsverbrechen – aber nur, wenn sie nicht von unseren Verbündeten begangen werden. Wir sprechen von universellen Menschenrechten – aber wir messen mit zweierlei Maß.

"Nie wieder" muss ein Prüfstein sein

Der Satz "Nie wieder" darf kein moralischer Pausenton sein. Er muss ein Prüfstein sein. Wer ihn ernst meint, muss auch dort Haltung zeigen, wo es unbequem wird: bei Völkerrechtsbrüchen durch strategische Partner, bei der Ausgrenzung von Minderheiten im eigenen Land, bei der Frage, ob wir unsere politischen Entscheidungen an Prinzipien oder an Interessen orientieren.

Krieg beginnt nicht mit Bomben. Er beginnt mit Bildern. Mit Sprache. Mit dem Entzug von Würde. Er beginnt da, wo Menschen entmenschlicht, entindividualisiert, entwertet werden – als "Flut", als "Kulturfremde", als "menschliche Schutzschilde". Und er beginnt dort, wo wir uns daran gewöhnen, Leid zu ignorieren, wenn es die "Falschen" trifft.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Deshalb ist es kein Nebenschauplatz, wenn wir über Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit sprechen. Denn sie ist das Fundament jeder Gewalt. Wer heute Muslime entwürdigt, wird morgen vielleicht Juden und Roma entwürdigen. Wer die einen zu Bedrohungen erklärt, wird irgendwann andere zu legitimen Zielen machen. Der Weg in den Krieg ist gepflastert mit stillschweigend akzeptierter Entmenschlichung.

Wer Frieden will, muss Fragen stellen

Als jemand, der sich seit zwanzig Jahren für interreligiösen Dialog engagiert, habe ich viele dieser Diskurse hautnah erlebt. Ich habe mit jüdischen Freunden gesprochen, die sich in Deutschland nicht mehr sicher fühlen. Mit Geflüchteten aus Syrien, mit jungen Palästinensern, deren Schmerz niemand sehen will. Was sie eint: das Wissen, dass Gewalt dort beginnt, wo das Leiden selektiv beachtet wird.

Es gibt keinen gerechten Frieden ohne gerechte Perspektive. Es war der Friedensnobelpreisträger Albert Schweitzer, der sagte, dass Frieden das Werk der Gerechtigkeit ist. Das ist kein theologischer Satz, sondern ein politischer Imperativ. Gerechtigkeit meint nicht Gleichmacherei, sondern die Fähigkeit, sich auch dann für Recht einzusetzen, wenn es dem eigenen Weltbild widerspricht. Wer also Frieden will, muss Fragen stellen, die unbequem sind: Welche Rolle spielen wir selbst in globalen Ungleichheiten? Warum sind manche Menschenleben uns mehr wert als andere? Und was tun wir – konkret – gegen Ausbeutung, Aufrüstung, Fanatismus?

Der Weltfriedenstag darf kein geschichtsverklärter Totensonntag sein. Er muss ein Tag der Zumutung werden. Ein Tag, an dem wir uns fragen: Was hat unser Gedenken mit unserem Handeln zu tun? Wo verraten wir den Geist von "Nie wieder", wenn wir ihn auf gestern begrenzen – und die Verantwortung für heute auslagern?

Frieden ist ein Prinzip

Ich erinnere mich an einen Dialogabend, den ich mitorganisiert habe – Christen, Juden, Muslime, Buddhisten. Am Ende standen keine Antworten, aber ein Konsens: Frieden beginnt da, wo wir Unterschiede nicht als Bedrohung begreifen – sondern als gemeinsame Verantwortung.

Frieden ist kein Zustand. Frieden ist ein Prinzip. Er beginnt in der Sprache, mit der wir über "die anderen" sprechen. Er beginnt in der Schule, im Klassenzimmer, auf Social Media, in Redaktionen. Und er endet nie.

Wenn wir also am 21. September wieder sagen: "Nie wieder Krieg", dann sollten wir wissen: Das ist kein Satz aus der Vergangenheit. Es ist ein Satz, der uns zur Verantwortung ruft – hier, jetzt, überall. Nicht naiv. Nicht romantisch. Sondern mit Haltung. Und Konsequenz.

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