Tür an Tür Wie ich fast auf dem Revier landete, weil ich Sex mit meinem Freund hatte

Aufgezeichnet von Lisa Frieda Cossham
Nachbarn: Illustration zeigt zwei Schwarz-Weiß-Türen nebeneinander auf farbigem Hintergrund
© stern-Montage: Adobe Stock
Abenteuer Nachbarschaft: Für unsere neue Serie „Tür an Tür“ haben wir Menschen gebeten, uns von  Erlebnissen mit ihren Nachbarn zu erzählen. Hier berichtet Marie, 30, wie sie lauten Sex mit ihrem Freund hatte – und daraufhin die Polizei die Tür aufbrach.

Jemand bohrte, es klang metallisch. Ich drehte mich zu meinem Freund, der nackt neben mir lag wir und wir begriffen gleichzeitig, dass jemand das Schloss meiner Wohnungstür zerstörte. Meine Klingel hatte ich ausgestellt, vielleicht brannte es? Ich zog mein Nachthemd über und lief zur Tür. Vor mir stand eine Gruppe von Polizisten. Nackt fühlte ich mich vor den Uniformierten, ausgeliefert. Ein anonymer Anrufer habe Schreie gehört, erklärte einer der Polizisten. Ob mir häusliche Gewalt widerfahren sei? Ob ich unversehrt sei, ob es mir gutgehe? Ja, bis eben schon, dachte ich.

"Fickt leiser, ihr Asis", schrie meine Nachbarin

Schreie, diese Behauptung konnte nur von meiner Nachbarin stammen. Sie klopfte, wenn ich Sex hatte. Sie schrie vor Wut, wenn ich vor Lust stöhnte. Sie hämmerte gegen die dünne Wand, durch die wir unsere Leben teilten, ob wir wollten oder nicht. Kein Streit, keine laute Musik, keine Partygeräusche brachten sie so sehr gegen mich auf wie mein Stöhnen. "Fickt leiser, ihr Asis", schrie sie, wenn mein Freund und ich miteinander schliefen. Seit einigen Monaten lebte ich Tür an Tür mit einer Frau, die Sturm klingelte, sobald wir Sex hatten. Die muss frustriert sein, sagten wir uns. Könnten wir bitte kurz eintreten? Fragte jetzt ein Beamter.

Kontrollierende Blicke. Erklärungen. Dass sie nicht zum ersten Mal hier seien, hier habe es ja schon mal eine Ruhestörung gegeben. Stimmt nicht, wehrte ich mich, mein Freund und ich hatten einfach Sex. Keinen lauten Sex. Ganz normalen. Sex mit Stöhnen beim Kommen, das schon, auch zwischendrin vielleicht mal, aber wir machen immer vorher die Fenster zu. Und die Musik an. Nickende Uniformierte. Absurdeste Situation meines Lebens, dachte ich, und merkte, wie ich wütend wurde. Mein Freund saß in Boxershorts am Bettende und guckte uns zu, während ich von der dünnen Wand sprach. Der Wand zwischen ihr und mir, vor die ich einen Vorhang gehängt hatte. Mein Bett hatte ich an die gegenüberliegende Wand geschoben. Es half nichts. Ich hörte sie husten, reden, zocken, kacken, lachen, duschen, zappen, streiten und heulen.

Dass sich Menschen nun mal einander zumuten in einer Großstadt, dachte ich.
Dass ich eine Schlampe sei, sagte sie.

Es dauerte, bis ich mich wieder frei fühlen konnte beim Sex

Gut, sagten die Polizisten, obwohl nichts gut war, und gingen. Ich schloss die Tür, die nun ein neues Schloss brauchte. Ich sammelte meine schlotternden Knie ein, meine fahrigen Hände, strich mir das Haar aus dem Gesicht. Ich drehte mir eine, drehte mir viele, drehte durch. Ich konnte mich nicht mehr konzentrieren. Fühlte mich verfolgt. Im Bett lagen mein Freund und ich nebeneinander wie Überlebende einer Katastrophe. Den Schaden, schrieb mir die Hausverwaltung und bezog sich auf das Schloss, müsse ich selbst übernehmen. Einige Wochen später saß ich einem Psychologen gegenüber, der von einer traumatisierenden Erfahrung sprach. Da wusste ich: Ich muss ausziehen. 

Mein Freund und ich entschieden, gemeinsame eine Wohnung zu suchen, und das ist die beste Wendung, die diese Geschichte nehmen konnte. Die Wände, die mich heute umgeben, sind dicker. Die Nachbarn freundlicher. Trotzdem hat es eine Weile gedauert, bis ich mich wieder frei fühlen konnte beim Sex. Beschwert hat sie noch niemand.

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