"Vanilla Girls" und "Sad Beige" Warum die Trend-Farbe Beige so viel Hass auf sich zieht

Frau sitzt mit Laptop auf einem Bett
Der Traum in Beige eines jeden "Vanilla Girls": Klamotten, Einrichtung, Haare und Nägel in dezenten und matten Tönen
© Letizia Haessig photography / Picture Alliance
Beige ist in die neue Lieblingsfarbe der Mode- und Einrichtungswelt. Doch die vermeintlich harmlose Farbe liefert viel Zündstoff. Denn die Trends, die mit den matten Tönen aufkamen, stehen – besonders auf Instagram und Tiktok – für einen exklusiven Lifestyle, zu dem nicht jeder Zugang hat.

Vorbei sind die Zeiten, in denen Beige ein Dasein als Rentner-Farbe fristete. Die undefinierbare Farbe – blass, pastellig, aber weder weiß noch braun oder grau – erlebt seit einiger Zeit ein kometenhaftes Comeback. Beige dominiert die Schaufenster von Modeketten, Baby-Boutiquen, Einrichtungshäusern und vor allem die Instagram- und Tiktok-Feeds. Die sozialen Netzwerke haben einen entscheidenden Teil zum Beige-Hype beigetragen. Junge Frauen aus der Generation Z inszenieren sich in ihren Accounts als "Vanilla Girls" und Eltern-Content auf den Plattformen präsentiert Kinderzimmer in Creme-, Sand- und Ockertönen. Diese mittlerweile Millionen Beiträge haben Beige zu einem Lifestyle stilisiert. Einem makellosen, vermeintlich bewussten Lifestyle des Minimalismus, der Nachhaltigkeit, der Naturverbundenheit – und der Exklusivität. Und genau daran gibt es Kritik.

Beige begeistert die Generation Z

Das sogenannte "Vanilla Girl", dessen zugehöriger Hashtag bei Tikok mehr als 630 Millionen Aufrufe zählt, ist laut Definition des "Urban Dictionary", einem Online-Wörterbuch für Slang-Begriffe, "das moderne Mädchen von nebenan". Sie trägt Kleidung in Perlmutt- und Beige-Farben. Ihre Garderobe ist minimalistisch und besteht aus Basics in eben diesen neutralen, matten Tönen. Im Kleiderschrank hängen Zopfpullover, Seiden-Unterhemden, dezente Strick-Pullover, Blusen mit Rüschen – alles in bester Qualität, vorzugsweise von bekannten Luxus-Labels. Dazu trägt das "Vanilla Girl" flauschige Ugg-Boots und goldfarbenen Schmuck. Ihre langen, weichen, meist blonden Haare behält sie im natürlichen Zustand, die Fingernägel sind natürlich und in hellen Tönen gehalten. Ebenso das Make-up: Eine leichte Foundation, wenig Mascara und Lipgloss gehören zur Kosmetik-Ausstattung. So diktieren es die Video-Anleitungen auf Tiktok, in denen das prototypische "Vanilla Girl" erklärt wird.

"Vanilla Girls" leben in aufgeräumten, hell und schlicht eingerichteten Wohnungen, die von Seide, Strick und Flausch dominiert werden. Mit weißen Vorhängen, kuschligen Decken, Trockenblumen und (Vanille-)Duftkerzen richten sich die Vorzeige-Mädchen ihre scheinbar perfekte Welt ein. In dieser trinken sie – man ahnt es – Flat Whites, schreiben Tagebuch und üben Yoga oder Pilates, um die schlanke Figur zu erhalten. "Alles ist pastellig, weich und lieblich, auch ihre Persönlichkeit", fasst die "Zeit" zusammen. Vanilla Girls bleiben immer ruhig und freundlich, ergänzt das "Urban Dictionary". Sie führen ein unaufgeregtes, skandalfreies Leben (maximal gibt es ein Glas Weißwein) und sollen ganz nebenbei die pure Eleganz ausstrahlen. Zusammenfassend: "Ein hübsches weißes Mädchen mit einem perfekten Lächeln und natürlichem Make-up. Feminin, weich und mühelos schön."

Ein exklusiver Trend, der Perfektionsdruck erzeugt

Hier liegt eines der Probleme, die mit dem Vanilla-Girl-Hype einhergehen. Die Ästhetik stellt schlanke, normschöne, weiße Frauen in den Mittelpunkt. Ein heller Hautton und blonde Haare werden als besonders erstrebenswert dargestellt. Das Nachrichtenportal "Watson" spricht von einem "exklusiven Trend", der andeutet, dass Personen mit anderer Haut- oder Haarfarbe nicht zu den Vanilla Girls gehören und das fragwürdige Ideal nicht erreichen können. Aber auch auf Menschen, die den äußeren Anforderungen entsprechen, kann der Trend einen Perfektionsdrucks ausüben.

"Es geht dabei um junge Frauen, die nach außen perfekt scheinen wollen, makel- und daher demonstrativ fleckenlos, duftend, rein", schreibt die "Welt". Wie so oft bei ähnlichen Phänomenen ist der Anschein, dass dies problemlos gelingt, Illusion statt Realität. Hinter dem "luxuriösen Minimalismus" steckten viel Aufwand und Geld. Was simpel aussieht, ist in Wahrheit ein teures Vergnügen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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"Sad Beige" rebelliert gegen den "Farbentzug "

Ähnlich sieht es mit der Ausstattung des Nachwuchses aus. Die Instagram-taugliche Wohn- und Lebenswelt der "Vanilla Girls" hat es bis ins Kinderzimmer geschafft. Kleidung, Möbel und Spielzeuge schaffen sich viele Eltern heute vorzugsweise in Beige-Tönen oder einer seiner vielen Nuancen wie Taupe, Elfenbein und Sand (denen in Online-Shops gerne kunstvollere Namen wie "Hazel" oder "Cardamom" verliehen werden) an. Schlichte und gedeckte Farben, die in zeitgemäß gestalteten Wohnzimmern schon lange den Ton angeben, dominieren nun auch das Kinderzimmer. Es scheint den Eltern darum zu gehen, dem Nachwuchs seinen eignen, strengen Geschmack aufzuzwingen, "während Primärfarben, glänzende Oberflächen und Spaß verbannt werden", kritisiert der "Guardian". "Der Spiegel" bezeichnet es als "Farbentzug".

Ein in Beige-Tönen eingerichtetes Kinderzimmer
Das moderne Kinderzimmer. Ein Einrichtungsstil, der eine hitzige Debatte ausgelöst hat.
© Zoonar / Imago Images

Als Reaktion auf das farblose Konzept hat sich in den vergangenen Wochen eine Gegenbewegung in den sozialen Medien formiert. Die US-Autorin Hayley DeRoche nennt es "Sad Beige". Unter dem gleichnamigen Hashtag machen sich mittlerweile zahlreiche Nutzer auf ironische Art und Weise über die Kinderkleidung in Beige lustig. Neben Sarkasmus löst der Trend aber auch tatsächliche Empörung aus. Die farblose Umgebung sei schlecht für die Entwicklung des Kindes, befürchten selbst einige Experten. "Ist ein Raum in lauter leuchtenden Farben quietschbunt gestrichen, animiert das Kinder, sie bewegen sich, sind aktiver", erläutert Axel Buether, Leiter des Instituts für Farbpsychologie an der Bergischen Universität Wuppertal, im Gespräch mit dem "Spiegel".

Wenn Kinder keine Erfahrungen mit Farben machen, verkümmere hingegen der Sinn. "Neugeborene bevorzugen Schwarz-Weiß-Kontraste und Primärfarben gegenüber Farben wie Beige und Grau", bestätigt Birgit Elsner, Professorin für Entwicklungspsychologie und Leiterin des BabyLab der Universität Potsdam, der "Zeit". Sie sieht das Ganze jedoch weniger dramatisch. Die Kinderzimmereinrichtung in Beige sei ihrer Meinung nach kein Problem, das Kind sei in anderen Räumen und außerhalb der Wohnung ausreichend unterschiedlichen Farben und Kontrasten ausgesetzt sei.

Naturfarben drücken Wunsch nach einer heilen Welt aus

Eltern aus der Beige-Fraktion argumentieren gerne, dass die Farbe einen beruhigenden Effekt hätte. Denn die Naturfarben stehen für Ruhe und Ausgleich. "Werte eben, die man sich auch für die Kleinsten wünscht", schreibt der Österreichische Rundfunk (ORF). Angesichts der vielen globalen Krisen kein Wunder. "Große gesellschaftliche Themen schlagen sich immer in den Farbstilen von Epochen nieder", sagt Axel Buether. Mit klaren Linien und diskreten Tönen spiegelt auch die Mode die permanente Unsicherheit wider. Das erklärt vielleicht auch, warum die Generation Z, die in Zeiten von Krieg und Pandemie im Dauer-Krisenmodus aufwächst und von Zukunftsängsten geplagt ist, den vermeintlich leichten, sorglosen "Vanilla Girl"-Lifestyle zelebriert.

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Die vielen getrübten Farben seien Ausdruck des Wunsches nach einer heilen Welt, die ökologische und gesunde Wege für den Umgang mit Ressourcen findet und in der Nachhaltigkeit und Authentizität als wertvoll gelten, resümiert Axel Buether im "Spiegel"-Gespräch. Ebenso wie bei den "Vanilla Girls" symbolisiert das beige Zuhause eine scheinbar perfekte Welt. Es steht laut ORF für "vermeintlichen Minimalismus, Konsumzurückhaltung und Naturverbundenheit". Für genau die Ideale, die gesellschaftlich heutzutage als erstrebenswert gelten.

Oder, wie es die "Zeit" formuliert: "Babybeige ist die Farbe der Eltern, die immer alles richtig machen." Die matten Töne erinnern an ungefärbte Baumwolle, handbemaltes Holzspielzeug und zuckerfreie Dinkelkekse und seien gleichzeitig eine "Absage an gegenderte Rosa-Hellblau-Welten", heißt es in dem Artikel. Deshalb schwinge in der Debatte stets moralische Überlegenheit mit, egal ob von Seiten der Beige-Liebhader oder aus dem "Sad Beige"-Lager. Zur geistigen kommt – genau wie bei den "Vanilla Girls" – die finanzielle Überlegenheit, Stichwort "luxuriöser Minimalismus". Die Kinder-Ausstattung in Beige ist in der Regel im höherpreisigen Segment angesiedelt. Zwar ist der Trend mittlerweile auch in den Baby-Abteilungen von Modeketten wie H&M, C&A zu finden – diese Klamotten sind dann "halt nicht aus Wolleseide", wie die "Zeit" ironisch anmerkt.

Die Diskussionen, Instagram-Posts, der Hype, die Kritik und die Gegenbewegungen zeigen, dass die harmlos anmutende Trendfarbe Beige, zumindest im Universum der sozialen Netzwerke, offensichtlich zum Signal von Perfektion erhoben worden ist – womit Exklusivität, Überlegenheit und zum Teil toxische Erwartungen einhergehen. Dass das dem sehnlichen Wunsch einer heilen Welt und eines friedlichen Miteinanders eher entgegenwirkt, ist womöglich die eigentliche Essenz der Beige-Debatte.