Ach, Mensch - Gesellschaftskolumne Vorsicht am rechten Rand

Demonstraten tragen ein Transparent mit der Aufschrit "Heimatschutz statt Mundschutz". Impfgegner, Coronaleugner und Querdenker demonstrieren Ende November in der Innenstadt von Frankfurt am Main gegen die Corona-Maßnahmen
Demonstraten tragen ein Transparent mit der Aufschrit "Heimatschutz statt Mundschutz". Impfgegner, Coronaleugner und Querdenker demonstrieren Ende November in der Innenstadt von Frankfurt am Main gegen die Corona-Maßnahmen
© Bernd Kammerer/ / Picture Alliance
Wer im Protest gegen das Impfen auch Zweifel an der Grundordnung äußert, ist den Staatsfeinden auf den Leim gegangen.

Vor genau zwölf Monaten habe ich an dieser Stelle fünf Fragen an das neue Jahr gestellt. Als ich die Kolumne an den Weihnachtstagen noch einmal las, war ich erstaunt, dass zwei Fragen noch immer nicht endgültig beantwortet sind.

Wo bleiben die Querdenker? Was tun mit den Impfgegnern? Aus diesen immer noch offenen Fragen ist ein Jahr später eine geworden: Wie gehen wir mit der lauten Minderheit um, die so vieles ablehnt: die Corona-Schutzmaßnahmen, die Impfung, den Staat?

Mir hat eine Krankenschwester geschrieben, eine engagierte Mail, in der die Frau mitteilt, dass sie ihren gesunden Körper nicht der mRNA-Impfung aussetzen werde. Da der stern ihrer Meinung nach bei diesem Thema zu "regierungstreu" berichte, werde sie unser Magazin künftig nicht mehr lesen. Und, nein, sie sei weit davon entfernt, eine Querdenkerin oder gar rechtsextrem zu sein.

Das will ich ihr glauben, und doch muss ich sagen: Sie irrt. Das Wörtchen "regierungstreu" verrät sie. So wie es alle Impfgegner entlarvt, die von sich behaupten, sie hätten mit "den Rechten" nichts am Aluhut.

Das Denkmuster hinter dieser Argumentation lautet nämlich: Wer für das Impfen ist – ob als Journalist oder Mitbürger –, wird als "regierungstreu" beschimpft. Das heißt in diesen Kreisen mindestens "dämlich". In den informierteren Verschwörungskreisen zählen Normalbürger, die sich impfen lassen, zu den "Schlafschafen", zu den Unwissenden, die einfach nicht durchschauen, welch böses Spiel der Staat gerade mit ihnen treibt.

Unsere Demokratie wird das verkraften

Das Bild, das hier scharf gezeichnet wird, zeigt Staat und Regierung als eine Organisation, die den Bürgern nichts Gutes will, sondern nur eigenen bösen Interessen dient. Sie will den Menschen mindestens die Freiheit nehmen, im schlimmsten Fall bekommen wir mit der Spritze einen Chip implantiert. Das Impfen wird zur Metapher für das dunkle Treiben gegen das eigene Volk. Es ist das identische Muster, nach dem Donald Trump zum Präsidenten gewählt worden ist und das am Ende zum Sturm auf das Kapitol mit fünf Toten geführt hat.

Wir kennen solche Erzählungen auch in der Bundesrepublik – jahrzehntelang allerdings nur von NPD-Parteitagen. Seit dem Flüchtlingsjahr 2015 haben sie diesen überschaubaren und in jeder Hinsicht beschränkten Kreis verlassen und sind hinübergeschwappt ins bürgerliche Lager, bis in die Mitte. Seitdem werden sie erfolgreich von der AfD ausgeschmückt.

Dann kam Corona. Die Pandemie entflammte die wildesten und abstrusesten Fantasien der Verquerdenker, heute versammelt sie kritische Bürger, Esoteriker und Rechtsextreme auf oft nicht angemeldeten Demonstrationen, die von Woche zu Woche größer werden. Komisch ist nur: Bis auf die mit den Reichskriegsflaggen behaupten sie alle, sie seien nun wahrlich keine Nazis.

Entschuldigung, aber wo verläuft hier die Grenze? Wer sich gemeinmacht mit dem Vorwurf der "Regierungstreue", hat sie jedenfalls überschritten. Unsere demokratisch gewählte Regierung macht sicher nicht alles richtig, aber wir müssen bitte nicht darüber diskutieren, ob sie gegen uns Bürger arbeitet. Dieser Konsens ist staatstragend, ihn zu verlassen wirkt zersetzend und hilft nur jenen, die eine deutlich schlechtere Idee haben.

Wer gegen Schutzmaßnahmen und gegen eine Impfpflicht ist, möge seine Meinung laut äußern und gern auch demonstrieren, unser Rechtsstaat hat dafür klare Regeln, unsere Demokratie wird das locker verkraften. Jedoch die anderen, die Feinde unserer Grundordnung, dürfen davon nicht profitieren.

Erschienen in stern 1/2022