11.11. Endlich wieder Karneval: "Köln ist eine komplett andere Welt"

Henriette Renker, Oberbürgermeisterin von Köln, eröffnete auf dem Heumarkt die Karnevalssaison
Henriette Renker, Oberbürgermeisterin von Köln, eröffnete auf dem Heumarkt die Karnevalssaison
© Oliver Berg / DPA
Sehen Sie im Video: Ungewöhnlicher Karnevalsauftakt in Köln am 11.11.
 
 
 
 
STORY: Was am 11.11. um 11.11 Uhr in Jecken-Hochburgen wie hier in Köln passiert, bedarf wohl keiner großen Erklärung. Der Start in die Karnevalssession wurde am Samstag offiziell auf dem Heumarkt eingeläutet. Hier einige Impressionen der Närrinnen und Narren. Oberbürgermeisterin Henriette Reker ging in ihrem Grußwort auch auf die aktuelle Lage mit Kriegsgeschehen in Nahost oder der Ukraine ein. "Es ist in Ordnung, Karneval zu feiern, und es ist auch gut so. Und das heißt nicht, dass wir nicht an diejenigen denken, die von Krieg und Gewalt betroffen sind. Ich wünsche uns allen eine freundliche, eine friedliche Session." Feiernde beschrieben ihre Gedanken dazu auf Nachfrage so: "Das heißt ja nicht, dass man es nicht bedauert, was sonst so auf der Welt passiert. Und es ist ja einfach auch schlimm. Und es ist schon schlimm, und es macht einen betroffen. Ich finde es aber trotzdem für mich in Ordnung, Karneval zu feiern. Ich kriege das schon zusammen." "Man braucht auch mal Zeiten, wo man all das Schlechte hinter sich lassen kann und mal für Stunden abschalten kann." Ob Abschalten oder Aufdrehen, mitmachen wollten zum Auftakt wohl Zehntausende Jecken. Die Kölner Polizei gab an, bereits seit dem frühen Samstagmorgen an den "Hotspots" der Innenstadt präsent zu sein. Man wolle "alles dafür tun, dass die Menschen... friedlich und sicher" feiern könnten, hieß es. Geschützt wurde auch die Kölner Synagoge.
"Kölle Alaaf! Kölle Schalom!" – Zehntausende feiern am Samstag den Karnevalsauftakt. Da die ganze Sache dieses Jahr auch noch auf das Wochenende fiel, waren insbesondere in Köln extra viele Feiernde unterwegs. Aber nicht alles war wie sonst.

In Köln, Düsseldorf und anderen Hochburgen sind die Karnevalisten am Samstag um 11:11 Uhr in ihre neue Saison gestartet. In Köln kam es zu dem erwarteten Massenandrang mit vielen zehntausend Feiernden. Weil der 11.11. dieses Jahr auf einen Samstag fiel, hatte sich die Stadt auf einen besonderen Ansturm von Partytouristen eingestellt. Dazu kam recht gutes Wetter mit viel Sonnenschein am Nachmittag. Bereits in den vergangenen Jahren war die Zahl der Feiernden von auswärts in Köln spürbar gestiegen.

Mit 1000 Polizisten, 180 Ordnungsamtsmitarbeitern und mehr als 1000 privaten Sicherheitskräften versuchte die Stadt, Herrin der Lage zu bleiben. Zur aktuellen Situation sagte eine Polizeisprecherin am Samstagnachmittag: "Alles noch im Bereich des normalen Wahnsinns."

Karneval-Fans aus ganz Deutschland reisen nach Köln

Die Feiernden reisten aus dem ganzen Bundesgebiet an. Drei als Hogwarts-Schülerinnen verkleidete Bayerinnen zum Beispiel bezeichneten es als "einmalige Chance", das Treiben an einem Wochenende miterleben zu können. "Wir sind Lehrerinnen und können uns nie frei nehmen", erläuterte Svenja (31). Das Erlebnis sei toll: "Köln ist eine komplett andere Welt."

In Düsseldorf verfolgten auf dem Rathausplatz etwa 5000 Menschen das Erwachen des Hoppeditz, der dieses Jahr etwas länger brauchte, bis er sich aus seinem Senftopf befreit hatte. Auch die umliegenden Straßen waren nach den Worten eines Sprechers des Comitees Düsseldorfer Carneval "pickepackevoll".

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker besuchte am Samstag die größte Kölner Synagoge, die sich fast direkt an der Hauptpartymeile befand. "Wir denken natürlich an die Not und Verzweiflung, die unsere jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger im Moment erleben", sagte die parteilose Politikerin. "Hier wird unweit der Synagoge jetzt Karneval gefeiert. Viele Menschen brauchen diese Zeit des Feierns. Andere können die Gedanken an die gewaltsamen Übergriffe der Hamas und die Konsequenzen nicht verdrängen."

Solidarität mit Jüdinnen und Juden

Aus Solidarität mit allen jüdischen Bürgerinnen und Bürgern erklang zuvor im Historischen Rathaus von Köln der Ruf: "Kölle Alaaf! Kölle Alaaf! Kölle Schalom!" Aaron Knappstein, Präsident des jüdischen Karnevalsvereins "Kölsche Kippa Köpp", sagte bei dem Empfang, die Jüdinnen und Juden in Köln seien in Not und bräuchten alle Bürger an ihrer Seite. "Wir haben immer mehr Menschen auch in Köln, die uns absprechen, Kölnerinnen und Kölner zu sein. Die uns sagen, dass wir nicht mehr hierhingehören."

Karnevalspräsident Christoph Kuckelkorn versicherte Knappstein, der Karneval stehe fest an seiner Seite. "Das Gespenst, das wir eigentlich besiegt gesehen haben, ist wieder zurück in unserer Zeit, und das macht mir richtig Angst", so Kuckelkorn. Er erinnerte an die belastete Geschichte des Karnevals in der NS-Zeit: "Auch der Karneval war damals, in der Zeit des Nazi-Regimes, ein Teil der Maschinerie, war Teil der Propaganda, hat sich total hingegeben."

Der Psychologe Stephan Grünewald hält Karnevalsfeiern vor dem Hintergrund von Krieg und Krisen für legitim. "Karneval ist ein Akt der Selbstfürsorge und steigert auch die persönliche Resilienz", sagte der Buchautor ("Wie tickt Deutschland?") und Chef des Kölner Rheingold-Instituts der Deutschen Presse-Agentur. Die Alternative wäre, sich grübelnd ins stille Kämmerlein zurückzuziehen. "Ich glaube aber, jemand, der in der Lage ist zu feiern, ist auch zum Mitleid fähig, weil er dann die Ressource dazu hat." Es gehe ja nicht ums Durchfeiern, sondern um einen kurzen Lichtblick in einer sich verdunkelnden Welt.

reuters · DPA
mkb