"Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes." Jonas Goebel breitet leicht die Arme aus, als er diese Formel spricht, und blickt in mehr als hundert erwartungsvolle Gesichter. Goebel, Pastor der Auferstehungskirche im Hamburger Stadtteil Lohbrügge, feiert an diesem Sonntag Vormittag einen besonderen Gottesdienst – einen Ebay-Gottesdienst. Auf der Online-Shoppingplattform hat der 30 Jahre alte Pastor sein Predigtthema für diesen Sonntag versteigert: Der Höchstbietende durfte ihm die Überschrift vorgeben. Und jetzt muss Goebel daraus das Beste machen.
Mit dieser ungewöhnlichen Aktion hat Goebel schon im Vorfeld ein mediales Echo ausgelöst. Oft kommen kaum mehr als 20 bis 50 Leute in seine regulären Gottesdienste, die meisten von ihnen haben die 70 schon überschritten. Heute bleibt in der kleinen, bunt eingerichteten Kirche im Hamburger Osten kaum ein Stuhl leer – und das, obwohl es an diesem Herbstmorgen draußen in Strömen regnet. Durchnässt nehmen einige Gäste Platz, Goebel wirkt locker, lächelnd begrüßt er jeden Besucher einzeln am Eingang.
Ebay-Gottesdienst: "Mit einer Vier minus kommt man auch in den Himmel"
Predigen muss Jonas Goebel nun also über das Thema "Mit einer Vier minus kommt man auch in den Himmel". So hat es sein höchster Bieter gewollt, ein Katholik aus dem Schwarzwald, der anonym bleiben möchte, und auch angekündigt hat, nicht selbst in den Gottesdienst zu kommen. Ob er auch wirklich nicht da ist? Goebel weiß es nicht. Mit 205 Euro hat der Mann die Auktion gewonnen, den Betrag noch großzügig auf 250 Euro aufgerundet. Das eingenommene Geld geht an die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger. Goebel kann damit leben: "Tausend Euro hätten mich ganz schön unter Druck gesetzt. Wenn da eine Scheißpredigt rauskommt, wäre mir das unangenehm."
Eine "Scheißpredigt", so redet Jonas Goebel, nicht gerade typisch für einen evangelischen Pastor. Wenn er predigt, klingt etwas für ihn schon mal "crazy" oder Dinge sind "tricky", er duzt seine Zuhörer konsequent. Die Kanzel lässt Goebel links liegen, lieber stellt er sich nah an seine Gemeinde an einen Notenständer, auf dem seine Notizen liegen – und spricht über die Vier minus und den Himmel. Natürlich komme man auch mit einer Vier minus in den Himmel, sagt er: "Das Leben ist keine Prüfung, um in den Himmel zu kommen. Dein Verhalten auf der Erde entscheidet nicht über deine Teilnahme am Himmel. Man kommt sogar mit einer Sechs in den Himmel."

Auch die Kirche muss auf Angebot und Nachfrage achten
Einige Tage vorher, im Haus direkt gegenüber vom Kircheneingang – hier wohnt Jonas Goebel mit seiner Freundin, hier hat er auch sein Büro. Seit knapp einem halben Jahr ist er Pastor, es ist seine erste Stelle. Über seinem Schreibtisch hängt ein Bild, auf dem das Wort "unmöglich" steht – die Buchstaben U und N sind fast bis zur Unkenntlichkeit ausradiert. Auch Goebel möchte aus vermeintlichen Unmöglichkeiten Möglichkeiten machen: Er will Kirche zeitgemäß gestalten. Wenn er über seine Vorstellung von Kirche redet, kommt er immer wieder auf das marktwirtschaftliche Prinzip von Angebot und Nachfrage: "Nicht die Menschen haben das Interesse an der Kirche verloren, sondern unser Angebot als Kirche ist zu schlecht. Wir müssen nicht ständig die Gründe bei den anderen suchen."
Goebel träumt von "gut gemachten, ansprechenden, bunten Gottesdiensten", die am Puls der Zeit sind und in denen die Besucher nicht nur Gäste, sondern auch Teilnehmer sind. So ist auch die Idee für den Ebay-Gottesdienst entstanden. Ein "Experiment", wie Goebel sagt, nicht nur wegen der Online-Auktion: "Zum ersten Mal feiere ich einen Gottesdienst, bei dem ich vorher nicht weiß, was passiert." Die Besucher dürfen am Eingang darüber abstimmen, wie der Gottesdienst aussehen soll: Welche Lieder gesungen werden sollen, welche Instrumente zum Einsatz kommen, ob die Gebete gesungen oder gesprochen werden. Wer sich hier auf den Gottesdienst einlässt, soll sich nicht nur in der Konsumentenrolle fühlen. "Die, die es interessiert, sollen sich auch beteiligen können", sagt Goebel. Mit großer Mehrheit entscheidet sich die Gemeinde für das Lied "Lobe den Herren" – einen Klassiker aus dem Jahr 1680. Manchmal ist das Altbewährte eben doch sehr beliebt.
Evangelische Kirche: Mitgliederschwund setzt sich fort
Die Menschen wieder mitzunehmen, ihnen wieder die Relevanz des christlichen Glaubens und die Bedeutung der Kirche deutlich zu machen – Rezepte dafür werden in den deutschen Amtskirchen gerade verzweifelt gesucht. Vor kurzem hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) die aktuellen Mitgliederzahlen veröffentlicht: Die Zahl der Austritte ist 2018 im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um 11,6 Prozent gestiegen, in den großen Städten wie Hamburg liegt die Zahl noch deutlich höher über dem Bundesdurchschnitt. "Deutschland ist nach wie vor ein christlich geprägtes Land", steht auf der Website der EKD – doch dieser Befund löst sich mehr und mehr auf. Freikirchen verlangen keine Kirchensteuer, sie stellen sich moderner auf und räumen ihren Mitgliedern mehr Mitspracherecht ein. Freikirchen wachsen. Evangelische und Katholische Kirche schrumpfen immer weiter. Nach einer Projektionsstudie der Uni Freiburg werden die Mitgliederzahlen bis 2060 um rund die Hälfte zurückgehen.

Jonas Goebel verwundern diese Zahlen nicht. Natürlich wollten sich viele Menschen, die mit der Kirche nichts mehr am Hut haben, die Kirchensteuer sparen, meint er: "Ich bin ja auch gerade aus dem Fitnessstudio ausgetreten, weil ich nicht mehr hingehe." Der junge Pastor kämpft mit kreativen Mitteln dafür, wieder Zugang zu finden zu denen, die sich von der Kirche entfernt haben. Und er glaubt daran, dass der Bedarf da ist: "Die allermeisten Menschen haben eine Sehnsucht nach Antworten auf die großen Fragen." Um diesem Bedarf gerecht zu werden, müsse sich aber die Kirche ändern. "Es ist ein Unding, dass wir als Landeskirche überall um zehn Uhr den gleichen Gottesdienst feiern. Ein gewisses Klientel wird da nie auftauchen. Bei einer so bunten Gesellschaft ist das haarsträubend."
"Es gibt keine heilige Form, nur einen heiligen Inhalt"
Seine Leidenschaft für das Thema ist Goebel auch im Gottesdienst anzumerken. In seinem schwarzen Talar – eigentlich würde er lieber in Hemd und Hose auftreten, das Pastorengewand empfindet er eher als "Verkleidung" – schwärmt er in seiner Predigt von Gottes Liebe und Gnade, garniert mit persönlichen Geschichten: "Es gibt nichts Besseres als mit Gott unterwegs zu sein. Deshalb stehe ich hier und quatsche euch voll." Für seine Idee mit der Ebay-Versteigerung hat er auch Kritik bekommen. "Ich habe nicht die Predigt versteigert und auch nicht das Recht, zu predigen. Ich glaube nicht, dass das den lieben Gott stört", entgegnet Goebel: "Es gibt keine heilige Form, nur einen heiligen Inhalt." Sein Thema "Mit einer Vier minus kommt man auch in den Himmel" ist da letztendlich sogar noch eine ziemlich kirchennahe Überschrift für eine Predigt, natürlich hätte es auch anders kommen können – "zum Beispiel irgendwas im AfD-Jargon. Aber ich hätte wahrscheinlich jedes Thema genommen, weil das Thema mir nicht vorschreibt, was ich dazu zu sagen habe."
Mit seiner lebhaften, sympathischen Art sorgt Goebel für frischen Wind in der kleinen Kirchengemeinde. "Seit er hier ist, komme ich wieder in den Gottesdienst", sagt Waltraud Merres, eine ältere Dame aus dem Stadtteil, die sich mit ihrem Gehstock durch den Regen gekämpft hat: "Er macht das ganz toll. Ich bin ganz begeistert von ihm." Goebels Vorgänger war 38 Jahre im Amt, mit seinem Nachfolger ist nun eine andere Ära angebrochen. Nicht allen gefällt das, einige etablierte Gemeindeglieder hätten ihm auch geraten, "langsam und weniger zu machen". Goebel wird da fast schon energisch, wenn er nicht nur für seine Gemeinde, sondern auch für die gesamte Evangelische Kirche festhält: "Wir machen schon lange genug langsam und wenig. Wir können nicht mehr blinken und mal langsam abbiegen, sondern müssen scharf links abbiegen."

Predigten über Revolverheld und Sido
Dafür geht Goebel neue Wege, nicht nur mit dem Ebay-Gottesdienst. Er twittert und betreibt einen Blog. Seine Predigten sind im Internet als Podcast nachzuhören. In der Woche vor dem Gottesdienst stellt er sein Manuskript für den nächsten Sonntag online, jeder kann Feedback dazu schicken. In den nächsten Wochen will er über Songtexte von Revolverheld und Sido predigen und Verbindungen zur Bibel herstellen. Regelmäßig lädt Goebel auch in einer Kneipe zum "Predigt-Bier" ein: Er kauft Interessierten ein Getränk, wenn sie mit ihm über den Predigttext diskutieren. So möchte er herausfinden, was die Leute wirklich bewegt. 0,2 Prozent der Menschen in seinem Stadtteil kommen in dem Gottesdienst, hat er ausgerechnet, und weiß auch, woran das unter anderem liegt: "Wir feiern Gottesdienste, die uns Pastoren gefallen, aber nichts mit denen zu tun haben, die noch kommen könnten."
Der Ebay-Gottesdienst allerdings stößt auf nahezu ungeteiltes Wohlwollen. Bei der Verabschiedung am Ausgang bekommt Goebel viel Lob. Mehr als die Hälfte der Besucher seien extra wegen des Formats gekommen, schätzt der Pastor. Zu ihnen gehört auch Susanne Cardinal, die dafür durch die ganze Stadt gefahren ist. "Locker, offen und nicht so staubig" fand sie den Gottesdienst. Und auch Goebels Chefin, Bischöfin Kirsten Fehrs, lobt die Idee: "Das ist eine originelle Aktion, die Gottesdienst und Predigt ganz neu ins Bewusstsein ruft. Sie steht beispielhaft für eine neue und unbefangene Kreativität bei jüngeren Pastorinnen und Pastoren. Das kann unserer Kirche nur gut tun." Goebel selbst hat noch einiges vor, ihm geht die Erneuerung der Kirche nicht schnell genug: "Wir brauchen Mut, um mal wirklich Neues zu wagen. Wenn der Mut darin besteht, dass wir jede Woche ein neues Lied ausprobieren, dann haben wir vielleicht in zehn Jahren etwas verändert." So lange will er nicht warten.