Bei diesem Gerichtsreport weiß man kaum, worüber man sich am meisten aufregen soll. In Singapur steht ein 19-Jähriger vor Gericht, der als Fahrradkurier für den Essens-Lieferdienst Deliveroo arbeitet. Khairul H., so der Name des Jungen, hat am 13. April 2017 um 17.15 Uhr Ortszeit eine rote Ampel ignoriert und anschließend einen Fußgängerüberweg gekreuzt. Dabei hat er einen Mann angefahren, den 73-jährigen Tong Cheng Poh, der langsam bei Grün über die Ampel ging. Der alte Mann stürzte, schlug mit dem Kopf auf und verstarb einen Tag nach dem Unfall. Khairul H.s Fahrrad war nicht straßentauglich, es hatte keine Bremsen. Vor Gericht sagte der Teenager, der sich nicht durch einen Anwalt vertreten lassen hat, am 16. Januar 2018 zu dem Richter, dass sein Opfer überlebte hätte, wäre es erst um die 40 Jahre alt gewesen.
So lautet die Kurzfassung der Verhandlung, über die die Gerichtsreporterin Elena Chong für die singapurische "The Straits Times" berichtet. Die längere Version der Ereignisse ist nicht minder dramatisch.
Rücksichtslos von Anfang bis Ende
Khairul war damals auf einer zweispurigen Straße unterwegs, als er bemerkte, dass die Ampel rot war, sagte der stellvertretende Staatsanwalt Lee Zu Zhao vor Gericht aus. An dem Spätnachmittag im April war viel Verkehr, auf der linken Spur hielt ein Bus an einer Haltestelle. In Singapur herrscht Linksverkehr. Als sich Khairul dem Fußgängerüberweg näherte, dachte er, die Ampel wäre auf Grün umgesprungen, der Bus blockierte ihm die Sicht. Er nahm Fahrt auf – und erwischte Herrn Cheng.
Als das Fahrrad untersucht wurde, stellte sich heraus, dass es weder vorne noch hinten eine Bremse hatte. Es besaß zwar eine Rücktrittbremse, die jedoch nur bei sehr langsamer Fahrt funktionierte, berichtete der Staatsanwalt weiter. Khairul habe das gewusst. Erst eine Woche vor dem Unfall habe er die defekte Vorderradbremse abmontiert, ohne sie zu ersetzen. "Ohne Vorder- und Rückbremse nutzte der Angeklagte normalerweise seinen rechten Fuß und setzte ihn auf das Hinterrad, um die Geschwindigkeit zu verringern", so der Staatsanwalt, "und es dauerte mindestens vier oder fünf Sekunden, bis er zum Stehen kam." Der Anklagevertreter forderte vier Monate Gefängnis: Khairul habe die rote Ampel ignoriert, gewusst, dass sein Rad keine Bremsen habe und habe es dennoch im öffentlichen Verkehr genutzt.
Das Urteil steht noch aus
Khairul sagte zu seiner Verteidigung den eingangs erwähnten Satz, dass sein Opfer überlebt hätte, wenn es jünger gewesen wäre. Er habe um Hilfe gerufen und geholfen, den Mann an den Straßenrand zu tragen. Er habe auf den Rettungswagen gewartet.
Der Richter vertagte die Strafverkündung auf den 6. Februar 2018, damit die Anklage weitere Ausführungen vorbringen könne. Die Höchststrafe für eine Kurzschlusshandlung mit Todesfolge beträgt in Singapur fünf Jahre Gefängnis und eine Geldstrafe von 5000 Singapur-Dollar (rund 3000 Euro).