Forsa-Umfrage Deutsche befürworten Radikalkur der katholischen Kirche

Die überwältigende Mehrheit der Deutschen befürwortet einen Kurswechsel der katholischen Kirche in zentralen Fragen wie der Verhütung und der Abschaffung des Zölibats.

Eine große Mehrheit der Deutschen unterstützt einen radikalen Kurswechsel der katholischen Kirche in zentralen gesellschaftlichen und kirchenpolitischen Fragen - und widerspricht so der Haltung des verstorbenen Papstes Johannes Paul II. Das geht aus einer Umfrage hervor, die das Meinungsforschungsinstitut Forsa in der vergangenen Woche im Auftrag des stern und des TV-Senders RTL durchgeführt hat. Demnach sind etwa 94 Prozent der Bundesbürger dagegen, dass die katholische Kirche weiterhin den Gebrauch von Verhütungsmitteln verbietet, 85 Prozent der Deutschen unterstützen eine Abkehr vom Zölibat, nur 11 Prozent beharren auf dem Verbot. "Die Deutschen sind liberaler geworden," sagte Forsa-Chef Manfred Güllner stern.de,"aber sie vertreten Auffassungen, die zeitgemäß sind. Das Verständnis für das Festhalten der katholischen Kirche an konservativen Positionen ist in der Bevölkerung nicht mehr vorhanden."

Kluft zwischen Deutschen und Kirchenführung

Das Ergebnis zeigt, dass die Deutschen trotz aller Trauer über den Tod des Papstes nun von der Kirchenführung erwarten, dass sie in zentralen gesellschaftspolitischen Fragen eine liberalere Haltung einnimmt als Johannes Paul II. - und sich überdies auch nach innen als reformfähig erweist. Nach Auffassung von Forsa-Chef Güllner trennen die Bürger dabei klar zwischen der Institution Papst und dem Menschen Johannes Paul II.. "Das Vertrauen der Bürger in die Institution Papst ist relativ gering. In dieser Kategorie liegt der Papst nur knapp über den politischen Parteien. Das hängt damit zusammen, dass die Positionen, die der Papst einnahm, nicht von den Menschen geteilt wurden", sagte Güllner stern.de. "Der Mensch Papst Johannes Paul II. jedoch hat sich Achtung erworben - durch seine Krankheit, seinen Leidensweg, seinen Tod. Das hat auch jene bewegt, die zu der Institution kein Vertrauen haben."

Auch in der Frage der Ökumene sind die Bürger fortschrittlicher als die katholische Kirche. So sind 86 Prozent der befragten Deutschen dagegen, dass das gemeinsame Abendmahl von Katholiken und Protestanten weiterhin verboten sein soll. Nur 8 Prozent sind dafür. 84 Prozent der Deutschen würden es begrüßen, wenn Frauen als Priester geweiht werden könnten (13 Prozent dagegen). Und 81 Prozent sind dagegen, dass die katholische Kirche die Abtreibung ausnahmslos ablehnt (16 Prozent dafür).

Auch Katholiken sehen Reformbedarf

Auffallend ist, dass die befragten Katholiken sich bei allen Punkten ähnlich geäußert haben wie Protestanten und Konfessionslose: 95 Prozent wollen das Verbot von Verhütungsmitteln abschaffen, 92 Prozent unterstützen das gemeinsame Abendmahl mit Protestanten, 82 Prozent wollen das Zölibat abschaffen, für Frauen als Priester können sich 80 Prozent erwärmen, und 78 Prozent sperren sich gegen eine radikale Ablehnung der Abtreibung. "Bei unseren Umfragen hat sich gezeigt, dass die Katholiken zur evangelischen Kirche ein größeres Vertrauen haben als zur katholischen Kirche und zu beiden Kirchen ein größeres Vertrauen als zum Papst", sagte Güllner stern.de. "Es gibt eine klare Erwartungshaltung, dass die Kirche sich mit dem neuen Papst öffnet, sich dem anpasst, was bei den Menschen längst Norm geworden ist. Sonst besteht die Gefahr, dass der Bedeutungsverlust der Kirche weitergeht", sagte Güllner. "Nicht nur die politischen Institution haben in den letzten Jahren an Vertrauen verloren, sondern auch die große Institution Kirche."

Für diese Erhebung befragte Forsa am 6. April insgesamt 1001 Bürger.

Teures Benzin führt zu Bewusstseinswandel

Forsa fragte in der vergangenen Woche auch nach der Reaktion der Deutschen auf die kürzlich gestiegenen Benzinpreise. Demnach sagten 61 Prozent der Autofahrer, dass sie aufgrund des teureren Sprits benzinsparender fahren würden. 47 Prozent der Autofahrer gaben an, wegen der gestiegenen Kosten nun weniger mit dem Auto zu fahren. 57 Prozent sagten, sie würden bewusst an billigeren Tankstellen tanken. Forsa-Chef Güllner erwartet keine radikale Verhaltensänderung der Autofahrer, rechnet aber mit einem bewußteren Umgang mit dem Verkehrsmittel. "Eine prinzipielle Verhaltensveränderung wird sicher nicht erfolgen - abgesehen von jenen Gruppen, die sich aufgrund ihrer finanziellen Verhältnisse einschränken müssen. Aber gewisse Änderungen wird man feststellen können. Die Bürger gehen gezielter mit den Preisen um, fahren etwa zu günstigeren Tankstellen," sagte Güllner. Arbeiter und Selbständige gehen laut Umfrage bereits jetzt unterschiedlich mit dem teureren Benzin um. Während die Arbeiter wegen der Benzinpreiserhöhungen überdurchschnittlich häufig weniger oder benzinsparender fahren, können oder wollen die Selbständigen nur selten weniger mit dem Auto fahren.

Am 7. April befragte Forsa 1003 Bürger, davon 767 Autofahrer mit Auto.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Weiter Mehrheit für Schwarz-Gelb

Die politische Stimmung in der Bevölkerung hat sich in der vergangenen Woche nur wenig verändert. Bei den Parteipräferenzen verlor lediglich die FDP einen Prozentpunkt, die sonstigen Parteien konnten um einen Punkt zulegen. Demnach könnte Schwarz-Gelb mit einer satten Mehrheit rechnen, wenn am Sonntag ein neuer Bundestag gewählt werden würde. Die Union erhielte 46 Prozent der Stimmen, die FDP sieben Prozent, die SPD 28 Prozent und die Grünen acht Prozent. Eine mögliche Koalition von Union und FDP könnte demnach mit 53 Prozent gegenüber 36 Prozent regieren. Die PDS erhielte fünf Prozent der Stimmen, die Sonstigen sechs Prozent. "Das hervorstechende in der vergangenen Woche ist, dass sich nichts geändert hat. Die SPD-Anhängerschaft bekennt sich nicht zu ihrer Partei, sie verharrt in ihrer Unentschlossenheit. Gleichzeitig messen wir eine stabile Zustimmung zur Union. Die Union kann darauf bauen, dass sich ihre Anhänger alle zu ihr bekennen", sagte Forsa-Chef Manfred Güllner stern.de.

Wähler bevorzugen Schröder

Kaum verändert hat sich auch die Kanzlerpräferenz der Bürger. 40 Prozent der Befragten (Vorwoche: 40 Prozent) würden sich für Gerhard Schröder als Bundeskanzler entscheiden, nur 30 Prozent (Vorwoche: 30 Prozent) für CDU-Chefin Angela Merkel. 30 Prozent der Deutschen können sich für keinen von beiden entscheiden.

Nach ihren politischen Einstellungen befragte Forsa zwischen dem 4. April und dem 8. April insgesamt 2504 Bundesbürger.

Florian Güßgen