Patchworkfamilien "Ich glaube, seit der Trennung meiner Eltern ist mir vieles egal geworden"

Der stern hat mit fünf Trennungskindern gesprochen. Sie berichten, wie sie diese schwierige Phase damals erlebt haben und wie sie heute als Erwachsene darauf blicken. 
Ein Mädchen wird von ihren Eltern an den Armen gezogen
Die Eltern zerren von beiden Seiten – und das Trennungskind steht dazwischen 
© Melina Mörsdorf / stern

Anna*, 39

"Ich habe keine Kindheitserinnerungen an so etwas wie eine glückliche Familie. Die gab es bei uns nie. Mein Vater war nicht präsent. Er entzog sich, war viel weg. Als ich drei Jahre alt war, ging er ganz. Obwohl es so lange her ist, weiß ich noch genau: Meine Mutter hat mir das in der Küche erzählt. Und sofort gefragt: Willst du bei mir bleiben – oder zu ihm gehen? Natürlich war ich total überfordert. Und natürlich hatte ich keine wirkliche Wahl. Ich blieb bei ihr, denn meinen Vater kannte ich ja kaum. Plötzlich schoss der neue Partner meiner Mutter aus dem Boden. Fliegender Wechsel, sozusagen. Interesse, mich wirklich kennenzulernen, hatte er nicht. Dafür zogen wir, als ich in der Grundschule war, zu ihm – von einer kleinen Stadt in ein 30 Kilometer entferntes Dorf.

Neue Umgebung, neue Wohnung, neue Schule, keine Freunde. Ich bin Einzelkind, also gab es auch in meiner Familie keinen Verbündeten. Ich fühlte mich so allein. Schon im Kindergarten hatte ich apathisch in der Ecke gesessen und zu niemandem Kontakt aufgenommen. Und auch später war da einfach niemand, der sich um meine Fragen, Sorgen und Ängste gekümmert hat. Kontakt zu meinem Vater gab es nur an einzelnen Wochenenden. Als ich 15 war, brach auch dieser Kontakt ab. Und meine Mutter war sehr mit sich selbst und der neuen Beziehung beschäftigt.

Ein Mädchen sitzt allein am Rand während andere Kinder spielen
© Orhan Umut Gökçek / stern

Ich wurde älter, aber zu meinem Stiefvater entstand keine Bindung. Mal war er hilfsbereit, mal total genervt von mir. Ich checkte immer ab: Wie ist er heute drauf? Darf ich mich ihm heute zumuten? Es war wie ein Tanz auf Eierschalen. Ich musste immer auf der Hut sein. Und konkurrierte gleichzeitig mit ihm um die Aufmerksamkeit meiner Mutter. Einsam fühlte ich mich weiterhin. Die Ehe der beiden hielt 13 Jahre. Ich habe oft versucht, mit meiner Mutter über ihre Trennungen zu reden. Ich spürte dann immer ihr schlechtes Gewissen. Sie sagte, sie sei finanziell von den Männern abhängig gewesen. Sie habe Angst gehabt, es allein nicht zu schaffen. Deshalb habe sie nach der ersten Trennung sofort einen neuen Partner gesucht.

Noch immer fühle ich mich dann und wann allein. Ich weiß auch nicht, ob diese Gefühle jemals ganz verschwinden werden. Ich mache seit etwa 20 Monaten eine Therapie, die anfangs sehr aufwühlend war. Ich wollte den Deckel drauf lassen, den Schmerz von damals nicht wieder hochkommen lassen. Durch die Therapie habe ich aber auch gelernt, was mir über die Jahre geholfen hat: einerseits Freunde, andererseits mehrere heile Familien in meinem Umfeld, von denen ich viel gelernt habe. Ich glaube, beides zusammen hat mir den Arsch gerettet. Und mich davor bewahrt, nach dieser schlimmen Kindheit Drogen zu nehmen oder auf der Straße zu landen. Heute habe ich selbst Kinder. Sie sind fünf und zwei Jahre alt. Ich bin ebenfalls getrennt. Anfangs hatte ich große Angst: Würde ich durch die Trennung meinen Kindern dasselbe zumuten, was meine Eltern mir zugemutet haben?

Erschienen in stern 22/2024