Generationendialog in Hannover Alt und Jung: Sind die netten Jahre vorbei?

Von Annika Noffke
Wie können wir den demographischen Wandel so gestalten, dass die jüngere Generation nicht darunter leidet? Bundesministerin Ursula von der Leyen und Autorin Cosima Schmitt im Generationendialog.

Wir leben alle länger – ist das ein Fluch oder ein Segen? Diese Frage stand im Fokus des Generationendialogs zwischen der Bundesministerin für Arbeit und Soziales Ursula von der Leyen (Jahrgang 1958) und der Autorin Cosima Schmitt (Jahrgang 1975). Knapp 300 Gäste waren der Einladung von Körber-Stiftung, Deutschlandfunk und DRadio Wissen am 1. Oktober ins Alte Rathaus Hannover gefolgt. "Wir sind immer länger jung", beschrieb Cosima Schmitt das Lebensgefühl ihrer Generation. "Mit 30 Jahren leben wir noch in WGs, wechseln unsere Partner und nehmen an Austauschprogrammen teil." Erst mit Mitte 30, mit dem ersten Kind und dem ersten festen Arbeitsvertrag, bekomme man langsam das Gefühl, angekommen zu sein.

Ursula von der Leyen relativierte das: "Auch für mich war Mitte 30 noch eine Zeit des Aufbruchs." Sie habe damals zwar bereits drei Kinder gehabt, sei in dieser Zeit aber in die USA gezogen und habe auch nicht gewusst, was auf sie zukommt.

Wie gefährlich sind die Alten?

Schmitt gab zu bedenken, dass es einen Unterschied mache, ob man freiwillig oder unfreiwillig in dieser Unsicherheit lebt: "Für die Generation Praktikum ist die Zukunft nicht planbar." Schuld seien auch die Alten, die im Job viele Karrierewege verstopften. In ihrem Buch "Die netten Jahre sind vorbei" beschreibt Schmitt die im Jahre 1964 geborenen als "gefährlichen Jahrgang": "1,4 Millionen Menschen sind in diesem Jahr geboren. In 20 Jahren gehen sie in Rente und sind auch noch so fit, dass auf den Kilimandscharo steigen und Kunstgeschichte studieren wollen. Wer soll das bezahlen?"

Ob sie diese düstere Vision nachvollziehen könne, fragte der Moderator Ralf Müller-Schmid, Leiter DRadio Wissen, Arbeitsministerin von der Leyen. "Wir leben heute 15 Jahre länger. Was es für die Jüngeren bedeutet, wenn die Alten länger fit sind, haben wir in der Hand", entgegnete von der Leyen. "Wir müssen ein neues Bild vom Alter entwickeln und etwas aus diesem Potenzial machen." Diese Einstellung kritisierte Schmitt als zu optimistisch: "Wenn es um Geld geht, hört es bei den Alten auf mit der Solidarität."

Nach einer Studie des Max-Planck-Instituts wollen Ältere eher Geld für ihre eigene Generation ausgeben, statt es in Kindergeld oder Krippenplätze zu stecken. Eine Forsa-Umfrage der Körber-Stiftung zeigt, dass die Hälfte der jüngeren Generation finanzielle Probleme im Alter befürchtet, aber nur jeder fünfte Alte. "Die Jungen sind verunsichert, wie viel Rente sie einmal bekommen werden und wie sie sich am besten zusätzlich absichern sollten", beschrieb Schmitt. Dass die Rente sicher sei, wollte von der Leyen nicht behaupten. Aber der Weg der Mischung von Umlagesystem und privater Vorsorge sei richtig, man müsse ihn nun ausbauen.

Gerechtigkeit in der Rentenpolitik

"Wir müssen den demografischen Wandel jetzt gestalten", forderte Schmitt. Sie fürchtet, dass später zu viele alte Wähler die Politik beeinflussen könnten. Die Unterstützung der Jungen sieht von der Leyen als ein großes Ziel ihrer Politik, beispielsweise wenn es um das Recht auf einen Krippenplatz geht. Ob ihr Vorschlag der Zuschussrente nicht die Jüngeren zur Absicherung der Alten zur Kasse bitte, gab Müller-Schmid zu bedenken. "Wir brauchen einen steuerfinanzierten Zuschuss für die Geringverdiener. Es ist nicht gerecht, dass viele jahrelang einzahlen, aber nur so viel herausbekommen wie jemand, der nicht eingezahlt hat", verteidigte von der Leyen ihr Konzept.

Schmitt möchte das Rentenproblem umfassender angehen: mit einer Rentenversicherung, in die auch Selbständige und Beamte einzahlen, mit besseren Positionen für Frauen und einer besseren Einbindung von Älteren in die Betriebe. Dem gab Ursula von der Leyen Recht: "Es gibt ein enormes Potenzial bei den Frauen. Wer nach dem Kinderkriegen auf Teilzeit geht und dabei bleibt, riskiert Altersarmut." Auch forderte von der Leyen mehr Weiterbildungsangebote für Ältere, um sie länger im Beruf zu halten.

Einbindung Älterer im Job als Exportschlager

Moderator Müller-Schmid warf ein, dass diese Vorstellungen von Schmitt und von der Leyen an der Realität vorbeigingen: So finden laut Forsa-Umfrage 70 Prozent der Bevölkerung bereits das Renteneintrittsalter mit 67 Jahren zu hoch. Sei dies nicht eine akademische Diskussion, wo doch der Dachdecker schon mit 60 gar nicht mehr arbeiten könne und wolle? "Das Dachdecker-Argument kann ich nicht mehr hören", erwiderte Schmitt. Viele Berufe bestünden heute aus Kopfarbeit. Und der Dachdecker könne auch Azubis ausbilden, in die Beratung oder in den Vertrieb gehen, fügte von der Leyen hinzu. Sie erzählte von ihrem Besuch einer Autoproduktion, die ihre alternde Belegschaft gezielt einbindet. "Solche Konzepte sind nicht nur für die eigene Belegschaft gut, sondern können ein echter Exportschlager für Deutschland werden!"

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Strukturen für Engagement im Alter schaffen

Auch den Einwand, dass Weiterbildung, Beruf und Engagement auf der Wunschliste der Deutschen für das Alter eigentlich ganz hinten stehen, wischten Schmitt und von der Leyen beiseite: "Man muss auf die Alten zugehen und ihnen konkrete Angebote machen, wie sie sich engagieren können." Alte zum Engagement zu verpflichten, lehnte von der Leyen strikt ab, wobei Schmitt zu bedenken gab: "Viele von uns Jüngeren haben erst über den Zivildienst geschimpft, kamen dann aber ganz verändert zurück. Von alleine wären die meisten nicht auf die Idee gekommen, sich in Seniorenheimen oder im karitativen Bereich zu engagieren. Mehr Verbindlichkeit im Engagement auch für Ältere wäre schon charmant." Sie selbst könne sich vorstellen, sich im Alter im sozialen oder medizinischen Bereich zu engagieren. "Ich möchte später auch noch gebraucht werden und in einem Mehrgenerationenhaus wohnen", erzählte Ursula von der Leyen mit Blick auf ihr Alter.

Fürsorge zwischen den Generationen

Den Kontakt zwischen den Generationen leben beide schon heute: Von der Leyen hat ihren Vater bei sich aufgenommen. Und auch Schmitt berichtet, dass es in ihrem Umfeld trotz der oft großen Entfernung viel Fürsorge zwischen den Generationen gebe. "Man teilt heute eher eine gemeinsame Weltanschauung mit den Eltern. Und wenn was ist, setzt man sich in den Flieger." Diese individuelle Solidarität zwischen den Generationen gelte es nun auf die Gesellschaft zu übertragen.