Interview "Erfahren und Erkennen"

Der evangelische Religionswissenschaftler Michael von Brück über die Botschaften der fernöstlichen Religion, die Meditation und die Chancen des Christentums, sich zu erneuern.

Die Lehre des Buddha ist 2500 Jahre alt. Wie erklären Sie sich, dass die Menschen im Westen erst jetzt den Buddhismus so richtig entdecken?

Der Dalai Lama verkörpert, wovon viele Menschen träumen. Er strahlt eine heitere Gelassenheit aus. Er stellt sich Schwierigkeiten und läuft nicht davon. Er predigt Mitgefühl und Gewaltlosigkeit. Und bietet mit der Lehre des Buddha eine Philosophie an, die es jedem ermöglicht, sich selbst besser zu verstehen. Mit sich ins Reine zu kommen. Wir leben ja in einer Welt, in der uns permanent alles erklärt wird - nur glücklicher werden wir dadurch nicht.

Mit sich ins Reine zu kommen ist doch auch ein Gebot des Christentums

Natürlich, und der Dalai Lama diskutiert auch oft mit kirchlichen Würdenträgern über die Gemeinsamkeiten. Der Buddhismus aber fasziniert, weil er auf Selbstverantwortung setzt. Die Menschen können aus eigener Kraft zufrieden werden und sind nicht auf Sakramente angewiesen, das Heil zu erlangen. Es gibt kaum Dogmen und wenig Hierarchie. Man kann auf seine eigene Erfahrung vertrauen und nicht auf den Klerus. Man kann sein Glück selbst in die Hand nehmen.

Den christlichen Kirchen laufen die Gläubigen davon, der Buddhismus boomt. Liegt das nur am Dalai Lama?

Nein, die buddhistische Lehre als Deutung der Wirklichkeit wird zunehmend von Naturwissenschaftlern, den Autoritätsgebern unserer modernen Welt, geschätzt. Buddhismus ermöglicht eine Weltdeutung, die rational kompatibel ist.

Sie sind Zen-Meister. Bitte, erklären Sie uns, was Zen im praktischen Tun bedeutet.

Zen bedeutet Konzentration auf den Augenblick, Überwindung von festgeprägten Wahrnehmungs- und Urteilsformen. Es bedeutet einen grundsätzlichen Perspektivwechsel, weg von vorgefällten Urteilen. Es geht darum zu sehen, was ist, nicht, was ich möchte. Und es geht darum, die Einmaligkeit jeder Situation, jedes Wesens zu erkennen, die oder das wiederum verbunden ist mit dem großen Ganzen.

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

Wollen Sie nichts mehr vom stern verpassen?

Persönlich, kompetent und unterhaltsam: Chefredakteur Gregor Peter Schmitz sendet Ihnen jeden Mittwoch in einem kostenlosen Newsletter die wichtigsten Inhalte aus der stern-Redaktion und ordnet ein, worüber Deutschland spricht. Hier geht es zur Registrierung.

Wie ist das zu verstehen?

Alle Phänomene hängen miteinander zusammen. Rechts ist abhängig von links, der Himmel ist abhängig von der Erde, Plus von Minus. Das ist doch allgemein bekannt. Beim Buddhismus geht es um die Erfahrung und das Erkennen, das nichts aus sich selbst existiert. Ich bin abhängig von meinem Atem, und der ist abhängig von Pflanzen, die Sauerstoff produzieren. Ich bin abhängig von meinen Eltern und ihrer Geschichte, sie sind abhängig von den Großeltern, und es geht zurück bis in die Ahnenreihe der Menschheit.

Was haben wir denn davon?

Es bedeutet unglaubliches Glücksempfinden. Die größte Angst des Menschen ist doch, isoliert zu werden. Wir tun alles, um dazuzugehören, nicht allein zu sein. Die Erfahrung einer universellen Verbundenheit befreit uns von Angst. Wenn ich mich von der Angst befreie, schalte ich auch ein wesentliches Potenzial von Gewalt aus.

Und wie gelangt man in diesen Zustand?

Durch den Prozess der Meditation. Es ist ein harter Weg. Mir hat er unglaubliche Schmerzen verursacht. Ich war immer verspannt, spürte Widerstände in den Denk- und Gefühlsgewohnheiten.

Kommen die Leute zu Ihnen, weil Sie als Christ buddhistische Praxis beherzigen oder als Buddhist auch den christlichen Weg der Kontemplation kennen?

Ich bin evangelischer Theologe, und ich bin es gern. Die meisten Leute, die zu mir kommen, sind Christen. In meinen Kursen verbinde ich Zen-Arbeit mit christlicher Symbolik; die Leute sind dankbar dafür, diese Verbindung zu ihren eigenen Wurzeln, der Religion ihrer Eltern wiederzufinden, allerdings in einer Form des Christentums, das weit weg ist von der Amtskirche. Es ist ein spirituelles, Zen-buddhistisches Christentum, wie es etwa auch der Benediktinerpater Willigis Jäger vertritt. Dieses Christentum hat noch keine klare und strukturelle institutionelle Form. Aber das scheint mir in Zukunft immer weiterzugehen.

print
Interview: Uli Hauser