Schon Goethe hatte sich über den italienischen Schlendrian mokiert: Hotels seien schmuddelig, Straßen häufig unsauber, "die Menschen leben ein nachlässiges Schlaraffenleben". Das war vor mehr als 200 Jahren. Noch heute pflegen viele Deutsche gerne das Bild und Klischee der "chaotischen Italiener". Aber wie haben ausgerechnet sie es jetzt hinbekommen, mit einem der größten Menschenaufläufe in der Geschichte fertig zu werden? Und vor allem, ohne großes Gejammer.
"Wie die Italiener das Ereignis gemeistert haben, ist schlichtweg unglaublich", sagt Rainer Löb, Malteser-Helfer, der bei der Papst- Beisetzung am Freitag auf dem Petersplatz Dienst tut. Mehr als drei Millionen Pilger, vielleicht vier Millionen, kamen in die Ewige Stadt, auch für Berlin, London oder New York wäre das ein Albtraum gewesen. Doch statt Chaos und Kollaps gab es in Rom einen reibungslosen Ablauf: Kein nennenswerter Zwischenfall wurde gemeldet.
"Professionelle Kunst" des italienischen Zivilschutzes
"Als ich die Massen heute morgen kommen sah, dachte ich, wir würden überrannt", erzählt der Arzt. Ein Wunder sei es gewesen, dass alles ruhig verlief - und eben "professionelle Kunst" des italienischen Zivilschutzes. Und fast bedächtig fügt der Mediziner hinzu: "So wie wir das in Deutschland auch gerne hätten." Italien, das vermeintlich chaotische Land, in dem es zum Erstaunen vieler Deutscher keine Mülltrennung gibt, habe "Großartiges geleistet".
Auch der deutsche Bauingenieur Alexander Barth (32) aus Landsberg am Lech muss die alten Stereotypen der ewig unorganisierten Südländer begraben. "Ich bin total überrascht von den römischen Behörden, so effektiv, freundlich, so zuvorkommend." Freundlichkeit ist vielleicht das Stichwort, es schien, als hätten selbst die mitunter strengen Carabinieri einen Schnellkurs für das historische Ereignis gemacht: Immer lächeln, immer nett, kein böses Wort. Da schliefen junge Polen im Circus Maximus, in Parks und auf der Piazza - morgens stellte die Stadt Wasser zum Waschen zur Verfügung.
Sage und schreibe 12, 15 und noch mehr Stunden mussten Pilger in den Menschenschlangen warten, um den toten Papst zu sehen. In den engen Reihen hätte leicht Panik ausbrechen können. "Doch die Behörden haben die Menschen gut geführt", sagt Löb. "Natürlich, es waren Pilger und nicht Fußballfans, das war hilfreich." Alkohol sei nicht im Spiel gewesen.
"Die Deutschen müssen umlernen"
Gern pflegen Nordländer ihre Vorstellungen über Italiener: Undiszipliniert seien sie, sympathisch zwar, doch irgendwie nicht ernst zu nehmen. Doch selbst den Besuch von US-Präsident George W. Bush meisterte Italien selbstbewusst - seine Wagenkolonne wurde am Donnerstagabend ohne viel Aufhebens durch den römischen Verkehr geschleust. "Die Deutschen müssen umlernen", meinte eine Deutsche in Rom zu den lieb gewordenen Vorurteilen. Italien gelang es sogar in den letzten Jahren, wovon die Deutschen nur träumen: die Arbeitslosigkeit abzubauen. "Dieses Italien", meinte Goethe auf seiner Reise durch den Süden, "ist gegen alle Länder unendlich zurück." Aber das war vor 200 Jahren.