Deutschland braucht mehr freie Demokraten. Damit meine ich nicht die FDP in der aktuellen Geistesverfassung. Warum nur hat man in den vergangenen Wochen so oft den Eindruck, die FDP bestehe aus einem Haufen Jungs, die hitzefrei bekommen haben und nicht wissen, was sie mit ihrer Freiheit anfangen sollen?
Sie regieren aber nun einmal. Es reicht nicht mehr, Hoteliers eine lästige Steuer vom Rechnungsformular zu streichen oder Rasern den Betonfuß fürs Gaspedal zu schenken. Bei den letzten Wahlen wurden sie abgestraft, doch wenige in der FDP wollen diese Denkzettel zum Denken nutzen. Stattdessen laufen sie Tag um Tag voller Kraft gegen eine verschlossene Tür.
Kubicki glänzt mit wunderlichen Aussagen

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.
Was will die FDP? Warum versteht sie nicht, dass die Freiheitsfragen unserer Zeit kluge Liberale brauchen statt einen Selbstblamierungsladen, der auf Klientelpolitik macht? Bei Wolfgang Kubicki hat man inzwischen sogar den Eindruck, er sei unter die Stand-up-Comedians gegangen, so absurd wirken seine Auftritte. Auf irgendeinem Onlineportal verglich er nun Wirtschaftsminister Robert Habeck mit Wladimir Putin. Beide, so meinte Kubicki, während sein Gehirn wohl schlief, würden die Menschen nicht selbst entscheiden lassen, was für sie gut sei. Das macht beide wohl vergleichbar gefährlich für die Demokratie. Thomas Kemmerich, ich hör dich trapsen! Was für eine Anbiederung an die Wähler der AfD! Wer von uns hat denn nicht gesehen, wie Habeck all jene FDPler, die er verdächtigte, seine Heizungsverbotspläne geleakt zu haben, deportieren ließ. Beweise brauchte Habeck dafür keine, er ist schließlich wie Putin.
Die Liberalen und ihre Zukunftsangst
Es klingt alles absurd, gleichzeitig spielt es auf der Frustklaviatur vieler Menschen, die den Wandel fürchten, weil sie Angst haben, es werde ihnen morgen schlechter gehen. Statt zu erklären, dass es uns schlechter gehen wird, wenn wir nicht handeln, nicht mutig neue Wege suchen, setzt einer wie Kubicki auf Putin-Vergleiche. Und die ganze Partei will tatsächlich noch immer Autobahnen ohne Tempolimit – obwohl dieses eine der einfachsten Maßnahmen wäre, CO2-Emission zu senken.
Die neuen liberalen Parteigrößen verstehen Freiheit falsch
Natürlich kann man so die Angel auswerfen nach dem frustrierten Wähler oder nach dem Autofahrer, der sich in seinen Raserechten beschnitten fühlt. Vielleicht sollte man sich aber fragen, wie viele konstruktive Männer und Frauen man dadurch verliert. Als ich Gerhart Baum einmal in meinem Podcast zu Gast hatte, sprach da ein liberaler Denker, der Freiheit im Spannungsfeld von Verantwortung verhandelte. Baum sind soziale Fragen nicht egal, denn zur Selbstverwirklichung des Einzelnen gehört eine Gesellschaft, die ihm die Bedingungen dafür schafft. In Baum steckt noch immer mehr Staatsmann als in Lindner, Wissing und Buschmann zusammen. Ich hoffe manchmal auf Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Oder auf Konstantin Kuhle und Johannes Vogel, doch müssen auch diese beiden smarten Männer in Talkshows letztlich sagen: "Tempolimit, no way!", und man hört Kubicki aus einer dunklen Höhle lachen.
Deutschland und seine Verkehrsminister
Mag sein, dass ich an der FDP nicht zuletzt wegen Hans-Dietrich Genscher hänge, der ein umsichtiger Außenminister für Europa war. Deutschland braucht Liberale in seiner Parteienlandschaft, weil wir schon lange vor der Motzerei über angebliche Verbote neurotische Durchregulierer waren. Niemand hätte ahnen können, dass eine Partei einen Verkehrsminister stellt, der nicht einmal Alexander Dobrindt in den Schatten stellen kann.

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Aber gut, die Freiheit, sauschlecht zu performen, die nehmen sie sich gerade, die Herren Liberalen.