Nun ist der Sommer fast vorbei. Ein paar Wochen lang hatte ich den erhobenen Zeigefinger gegen den gespreizten kleinen Finger am Martini-Glas getauscht, Sonnenuntergänge gezählt. Jetzt bin ich wieder da. Vorsicht! Erholung schafft Tatendrang. Nur, was soll man zurück in Deutschland eigentlich tun?
Mehr Charisma in der Politik
Ich komme exakt da wieder rein, wo die miesepetrige Platte schon hing, als ich ging: Die kleine Groko sei ja so schlimm, man wünsche sich fast die Ampel zurück, höre ich. Ach nee? Wir sind so ein merkwürdiges Land, das aus einem Satz wie "Wir schaffen das!" eine ganze Trotzkultur entwickelt hat und sich darin einnistet: Nein, Mutti, wir schaffen das nicht! Schaffen wir es irgendwann wieder raus aus der Trotzphase? Man kann Neuanfänge wagen, zum Beispiel. Man kann scheitern, sich aufrichten und bessere Wege suchen. Man kann anpacken, sich Ziele setzen und motivieren. Vielleicht bräuchte es dafür einen, der sagt, wo's langgeht, einen wie Willy Brandt damals, der forderte: Mehr Demokratie wagen! So einer fehlt heute, da können von Merz bis Baerbock unsere Spitzenpolitiker noch so viel Steuergeld für Haare und Make-up ausgeben. Charisma schminkt man sich nicht. Dabei braucht's das jetzt: mehr Charisma für die Demokratie. Dieses Gemoser hackt sonst alles klein.
Es interessiert kaum einen Bürger, ob Merz und Klingbeil gute oder schlechte Stimmung untereinander haben. Es interessiert auch nicht, ob Habeck der Frau Klöckner zum Abschied eine mitgibt oder Söder sich auf Instagram in Wurst suhlt. Was gerade interessiert, ist, ob die Demokratie die Angriffe der Autokraten überstehen kann. Nicht irrelevant ist dabei die Aufgabe, eine Wirtschaftspolitik zu machen, die Bürgern vermittelt, es denkt da oben noch jemand an uns – und nicht nur an die Lobby der Reichsten. Oft sieht man nach der Rückkehr aus dem Urlaub klarer, als hätte man plötzlich ein geputztes Fenster zur Welt. Ich sehe: Wenn wir nicht aufhören, den politischen Betrieb zu banalisieren, können wir der AfD auch einfach den roten Teppich in die deutschen Parlamente ausrollen. Man kann nicht ständig warnen vor Rechtsextremismus und dann denken, Stimmungslästereien über Koalitionspartner seien der Rest des Geschnackes über Demokratie.
Wenn die Bürger es selbst in die Hand nehmen
Als ich im Urlaub war, legte an einem dalmatischen Hafen ein Frachtschiff an, das Asbest geladen hatte. Die Hafenbetreiber hatten sich da einen feinen Deal ausgedacht, wie es heute so schön heißt. Bis Bürger sich an die Ausladestelle stellten. Vier Wochen lang blockierten sie, insistierten: Das Schiff mit seinem Gift hat an unserem Meer nichts zu suchen. Es gibt an diesem traumhaften Mittelmeer zu viele Geschichten darüber, wie die Reichsten sich nehmen, was sie wollen, als wäre Demokratie eine Scheinstaatsform für Kleptokraten. Aber dieses Mal protestierten Bürger wochenlang, Tag um Tag. Schließlich kam politisch von ganz oben die Order, der Frachter müsse voll beladen das Land verlassen. Das Geschäft war vermasselt. Am selben Tag traf sich der Gemeinderat, und seine Mitglieder erzürnten sich über die Giftgeldpläne. Es gab wohl Tränen und böse Worte. Man wollte dem Zorn der Bürger gerecht werden. Dem Meer. Der Natur. Der Demokratie.
Ich merke gerade, das klingt wie ein Märchen, dabei war es einfach die beste Seite dieser Demokratie. Das ist der Tatendrang, den ich meine: dass wir uns selbst daran erinnern, Demokratie nicht zur Polit-Folklore oder zum Medienspektakel zu machen.
Demokratie ist das, was am Ende entscheidet, ob wir in sauberem Wasser baden oder nicht.