Jagoda Marinić Bühne unfrei

Ein gezeichneter Theaterschauspieler hält einen schockierten Smiley in der Hand
Unsere Kolumnistin fragt sich, wie weit das moderne Theater noch andecken darf, ja muss
© Illustration: Lennart Gäbel
Warnung vor Schiller: Viele Theater wollen neuerdings möglichst achtsam sein. Unsere Kolumnistin wird so nicht zur Abonnentin.

"House of Wokeness", so hatten Kritiker das Schauspielhaus Zürich getauft. Eine lächerliche Übertreibung der Kritiker, und trotzdem kam es zum Eklat. Das Intendantenduo muss gehen. Das traditionell gesinnte Publikum traf auf Theatermacher, deren Ziel es war, jünger, diverser, inklusiver zu werden.

Das Gute: Theater können doch noch Diskussionen auslösen, ich hielt sie fast schon für irrelevant. Marlene Streeruwitz soll sinngemäß mal gesagt haben, Theater sei die billigste Art, subversive Energie kritischer Kreativer zu bündeln, ohne wirklich politisch gefährlich zu werden. Man verausgabt sich auf der Bühne, doch wen interessiert’s noch?

Das Theater hält uns den Spiegel vor

Dennoch ist das Theater ein genialer Weg, die Gesellschaft mit den Mitteln der Kunst zu reflektieren. Kann Theater das noch? Die meisten Schauspielhäuser müssen sich neu erfinden. Die alternden Abonnenten werden nicht noch aus dem Himmel (oder der Hölle) ihre Abos weiterbezahlen, und die Jugend ist im Zeitalter von Streamingdiensten und Selbstdarstellungs-Social-Media schwer für das Bühnengeschehen zu gewinnen.

Zürich zeigt, von welcher Strategie man sich momentan die Erneuerung erhofft: Viele Theatermacher hängen sich an Menschenrechtsbewegungen und die entsprechenden Diskurse dran. Wenn sie so weitermachen, können die Dramen der Zukunft tatsächlich von ChatGPT geschrieben werden. In weiten Teilen ist das, was auf den Bühnen von heute als jung, divers und fortschrittlich angepriesen wird, höchstens so künstlerisch wie die Infobroschüre einer NGO. Das Theater sollte den Zeitgeist in seinen Widersprüchen ausleuchten und eben nicht nur auf klare Grenzen zwischen Gut und Böse setzen.

Im Schauspielhaus Zürich hat es wohl Triggerwarnungen vor der Vorstellung gegeben, weil Schillers Werke Gewaltdarstellungen enthalten. Es ist aber nicht Aufgabe der Kunst, Erwachsene vor sich selbst zu schützen. Sprechen solche Warnungen letztlich nicht nur ein besonderes sozioökonomisches Milieu an? Viele junge Menschen sehen sich gern Gewaltfilme an – nimmt man sie ernst, wenn man vor Schillers Apfel und Pfeil warnt? Oder biedert man sich schlicht jenen an, die meinen, die Kunst müsse eine Agenda haben? Es wird vor allem gewarnt, was nicht in die Agenda passt. Die Triggerwarnung als paternalistischer Schutz für verletzbare Menschen? Für viele solcher verletzbarer Menschen aber ist die Kunst ein Ort, der zum Zuhause werden kann, weil sie die Ordnung der Welt nicht reproduziert, sondern ihr etwas hinzufügt.

Ein Theater darf nicht zur Quatschbude werden

Jagoda Marinić
© Gaby Gerster

Jagoda Marinić schreibt in ihrer Kolumne über in die Welt, wie sie ihr gefällt – oder auch nicht gefällt. Sie ist Autorin verschiedener Bücher (zuletzt "Made in Germany. Was ist deutsch in Deutschland?", "Sheroes. Neue Held*innen braucht das Land") und Host des Podcasts "Freiheit Deluxe". Als Moderatorin der Literatursendung "Das Buch meines Lebens" (Arte), fragt sie bekannte Persönlichkeiten, wie das Lesen ihr Leben verändert hat. Auf Twitter und bei Instagram findet man sie unter @jagodamarinic.

Ein Haus schafft sich selbst ab, wo es zum reinen Debattentheater wird. Eine kanadische Übersetzerin fragte mich, woran es liege, dass auf deutschsprachigen Bühnen die Schauspieler immer öfter den Text einfach vom Rand sprechen, statt Momente zwischen den Figuren zu schaffen. Es werde nur noch berichtet, meinte sie.

Nun berichten immer mehr Theater, wie gut und divers die neuen Bewegungen sind. Sie scheinen sich an diesen Tropf hängen zu wollen, um sich dadurch zu verjüngen. Man kann morgens natürlich zur NGO und abends ins Theater gehen. Morgens ist die Welt klarer geordnet; im Schauspiel aber, wie in jeder Kunstform, sollten einen die Abgründe, die Unfertigkeiten erwarten. Nur so kann Theater jünger und diverser werden, statt nur jünger und akademischer.

So wie es jetzt läuft, ist es eigentlich nicht divers, sondern nur anders abgehoben. Wer traut schon einer kraftlosen Kunst, die ihre Freiheit freiwillig der guten Sache andient? Ganz egal, wie gut die Sache ist.

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