Kolumne Marinić Wie Reichtum unsere Gesellschaft spaltet

  • von Jagoda Marinić
Kolumnistin Jagoda Marinic über Reichtum
Kolumnistin Jagoda Marinic schreibt über den Kulturkampf der sozialen Schichten: Während die einen sorgenlos in ihrem Reichtum leben, steigen für die anderen die alltäglichen Lebenskosten 
© stern-Montage: Foto: Gene Glover / stern; Hintergrund: KI generiert: Derik Meinköhn
Die Mieten steigen, Lebensmittel werden zu Luxusgütern. Unsere Kolumnistin fragt sich: Wann beginnt der Kulturkampf an der Frischetheke?

Es war abzusehen: Die AfD zieht im Bundestrend gleichauf mit der CDU. "Alles scheiße!", analysiert meine kroatische Bäckerin. Warum die Krise ist, wie sie ist, verstehe ich besser durch Alltagsgespräche zwischen Bäckerei und Bahnfahrt als durch die meisten öffentlichen Debatten.

In meinem Handy newstickert wieder etwas über Merz und Migration, als ich einen Friseur treffe, den ich jahrzehntelang in seinem Laden gesehen habe. Er mache jetzt dicht, nicht wegen der Migration, sondern weil er nicht mehr könne. "Das Alter?", frage ich. Nein, sagt er, zu viel Bürokratie, die er nicht mehr schaffe.

Dieses Gefühl, die eigene kleine Welt nicht mehr am Laufen halten zu können, davon höre ich aus unterschiedlichsten Ecken. Die Furcht, den Lebensstandard nicht mehr halten zu können, das ist die neue Mitte.

Geht’s um den Rechtsruck, wird gerne nach der "Mitte der Gesellschaft" gerufen. "Wo bleibt das Zentrum im Kampf gegen antidemokratische Bewegungen?", heißt es dann. Vielleicht löst es sich seit einigen Jahren auf, ökonomisch wie geistig. Verheddert sich in Ängsten, wie lange es noch Mitte bleiben kann. Oder wird die Mitte bald Zaungast sein im Land der Superreichen und Langzeiterben, die notfalls nach Mallorca auschecken?

Wo immer mehr Menschen sich in ihrem sozialen Status bedroht fühlen, sind natürlich immer mehr Menschen manipulierbar. In den Medien dominieren seit Trumps zweiter Amtszeit Diskussionen über den ominösen Kulturkampf von links oder rechts. Die besorgten Kulturkämpfer geben sich bürgernah, bieten den Bürgern aber nur Wutentladungsthemen, statt für ihre Interessen zu kämpfen.

Der Kulturkampf des Friseurs liegt im Ringen mit der Bürokratie. Der Kulturkampf der Studenten liegt in zu hohen Mietpreisen. Gerade zeigte eine Studie, junge Menschen müssten etwa in Heidelberg 620 Euro für ein WG-Zimmer ausgeben. Bald legen sie die Hälfte ihres Einkommens für Wohnen auf den Tisch. Meine Studentenbude kostete knapp 20 Prozent meines Einkommens. Ich weiß nicht, ob ich, hätte sie mehr gekostet, mein Studium hätte selbst finanzieren können.

Wann sehen wir den Kulturkampf über Gewinnspannen bei Lebensmitteln?

Der Kulturkampf vieler Bürger besteht auch im Gang zum Supermarkt: Schuld an den hohen Preisen für Obst und Gemüse sind angeblich der Krieg in der Ukraine, gestiegene Energiepreise und bla, bla … Gleichzeitig melden Supermarkthändler neue Rekordgewinne. Wann sehen wir den Kulturkampf über Gewinnspannen bei Lebensmitteln? Die Politik sei da ohnmächtig, heißt es. Ach, als schaffe die Politik nicht die Rahmenbedingungen fürs Handeln!

Gregor Peter Schmitz mit den Buchstaben GPS

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Die Gen Z sei faul, ist außerdem zu hören. Noch so ein Kulturkampf, diesmal der Generationen. Diese angeblich faule Gen Z muss sich nur einmal die Immobilienpreise ansehen, um zu wissen: An Fairness hat in den vergangenen Jahrzehnten keiner mehr gedacht. Die Reichsten kaufen unterdessen ihren Sprösslingen fürs Studium eine hübsche Butze in Berlin, da können sie selbst in den Semesterferien urlauben.

Lange war mir nicht klar, wie viele, die in Diskussionsrunden im Fernsehen und auf Bühnen mit mir sitzen, verwöhnte Erben und Reichenkids sind. Wenige von ihnen mussten sich ihren Status hart erarbeiten. Ihr Interesse am Gemeinwohl endet für einige bei Steuervergünstigungen durch Anlagen in denkmalgeschützte Wohnungen. Wer zu viele solche Verwöhnte in den Eliten hat, der setzt keine Gerechtigkeitsfragen auf die Agenda. Abstiegsangst betrifft solche Leute nicht.

Etwas über soziale Marktwirtschaft gelernt, das habt ihr hoffentlich schon, oder? 

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