Gülsen K. kann ihre letzten Worte, bevor der Richter die Verhandlung schließt, kaum vorbringen. Sie schluchzt zu sehr. Mit tränenerstickter Stimme presst sie hervor: "Sie war ein Teil meines Lebens. Es tut weh, dass sie weg ist, aber ich bin so froh, dass sie lebt." Ob Katze Mira die schweren Verletzungen überlebt, die ihre einstige Besitzerin ihr zugefügt haben soll, war zu Beginn ihrer Behandlung nicht klar.
"Schlag auf den Kopf" soll ein Sturz gewesen sein
Wegen der mehrfachen Misshandlungen, die Gülsen K. dem Tier angetan haben soll, muss die 35-Jährige sich am Mittwoch vor dem Amtsgericht Hamburg-Altona verantworten. Die Staatsanwältin liest aus der Anklageschrift die lange Liste an Verletzungen vor, die das Tier erlitten hat: Einblutungen in den Augenkammern und Ohrmuscheln, eine Schwellung auf dem Nasenrücken, Rippen- und Wirbelfrakturen und mehrere Schürfwunden, "wodurch die Katze in Lebensgefahr schwebte und zehn Tage stationär in einer Tierklinik behandelt werden musste". Zwei Mal soll die Angeklagte "mit stumpfer Gewalt" auf ihr Haustier eingewirkt haben. Unfälle sollen es laut der 35-Jährigen gewesen sein, die die Vorwürfe vehement abstreitet.
Der "Schlag auf den Kopf oder der Wurf gegen eine Wand", wie es in der Anklage heißt, sei in Wahrheit ein Sturz vom Kratzbaum gewesen. Gülsen K. sei auf dem Balkon gewesen, als sie ein Geräusch gehört habe. Ein Geräusch, das nach einem harten Aufprall geklungen haben soll. Dabei lässt sie ihre Fäuste auf den Tisch knallen. Dann steht sie auf und stellt sich an die Wand, um die Höhe des Kratzbaums zu zeigen: Etwas über zwei Meter. Als sie den Knall vernommen habe, habe sich Mira bereits im Fall befunden. Ihre Besitzerin habe versucht, sie aufzufangen – vergeblich.
Die Katze sei ausgerutscht und seitlich auf den Laminat-Boden gefallen. Danach habe sie nicht mehr richtig gehen können. "Ich war selbst schockiert", erinnert sich die Angeklagte. Dass sie den Aufprall gehört habe, noch bevor das Tier auf dem Boden aufkam, entspricht laut dem Richter "nicht den Gesetzen der Physik". Und auch nicht dem Gutachten, das Christina Bertram vom Veterinäramt vorträgt.
Die Angeklagte schluchzt: "Sie fehlt mir so sehr"
Verständigt wurde das Veterinäramt von der Tierärztin, die Mira nach dem angeblichen Sturz behandelt hatte. Die Katze sei weder geh- noch stehfähig gewesen. Das und die Einblutungen in Augen und Ohren "weisen auf ein massives Trauma hin, dass sich mit dem Sturz nicht ein Einklang bringen lässt". Zwei Meter seien eine sehr geringe Höhe. Zudem haben Katzen die Fähigkeit, sich im Fall zu drehen, weshalb beim Stürzen eher Verletzungen am Kiefer oder an den Vorderpfoten auftreten würden. Röntgenbilder hätten zudem Verletzungen an der Wirbelsäule gezeigt. "Es war lebensnotwenig, dass die Katze am Folgetag wieder untersucht wird", betont die die Expertin. Das habe die Tierärztin der Angeklagten gegenüber deutlich zum Ausdruck gebracht und sie am nächsten Tag mehrfach angerufen – was die Angeklagte jedoch bestreitet.
Trotzdem habe sich das Tier erholt. "Sie fehlt mir so sehr", platzt es plötzlich aus Gülsen K. heraus. Ihre Schultern beben, Tränen laufen ihr übers Gesicht. Der Richter schlägt eine kurze Pause vor. Die 35-Jährige verlässt mit ihrem Verteidiger den Saal. Ihr Schluchzen ist durch die Wand zu hören. Noch mehr macht ihr allerdings die Erinnerung an den zweiten Vorfall zu schaffen, wobei die Katze angeblich von der Klobrille aus in die Toilette gefallen sei. Auch hier habe sie wieder ein Geräusch vernommen. Als sie ins Bad kam, sei Mira "halbwegs in der Toilette" gewesen. Allerdings hätte ihre Besitzerin es geschafft, sie dieses Mal aufzufangen.
Als die Katze ihre Besitzerin sah, ging der Puls hoch
Dennoch sei die Katze benommen gewesen – und noch schwerer verletzt als beim ersten Mal. "Der Höhenunterschied war aber geringer", merkt der Richter an. "Deshalb verstehe ich es auch nicht", sagt Gülsen K. Erneut konnte die Katze laut dem Fachgutachten weder gehen noch stehen. Außerdem sei das Tier nicht ansprechbar gewesen, habe unter Krämpfen gelitten und die Augen hätten sich unkontrolliert bewegt. "Das sind Anzeichen eines wirklich schweren Traumas, wobei auch das Gehirn betroffen ist", erläutert Christina Bertram. Die Ursache dafür sei in der Regel ein Schlag auf den Kopf.

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Die Verletzungen waren so gravierend, dass die Tierärztin überlegt hatte, Mira einzuschläfern. "Sie war wie mein Baby", stottert die Angeklagte unter Tränen. Sie bricht ab, kann sich nur mit Mühe wieder fassen. "Ich wollte nicht, dass sie stirbt." Während der Behandlung sei die Katze laut Christina Bertram intensiv überwacht worden, darunter auch der Herzschlag, der sich nach einer Weile wieder beruhigt habe. Als die Gülsen K. den Raum betrat und im Blickfeld des Tieres erschien, sei der Puls sofort wieder in die Höhe geschossen. Eine Stressreaktion, die darauf hindeuten könnte, dass Mira Angst vor ihrer damaligen Besitzerin empfunden habe. "Normalerweise sollte es umgekehrt sein: Dass der Puls runtergeht bei bekannten Personen", erklärt die Expertin. Die Angeklagte schnieft.
Vereiterte Schürfwunden und mehrere Knochenbrüche
Ihr Verteidiger spricht von Spekulationen und einer möglicherweise "gekünstelten Interpretation". Stattdessen bringt er alternative Erklärungen vor, die zu den schweren Verletzungen hätten beitragen können. Etwa dass die Katze noch öfter gestürzt sei, während seine Mandantin sich nicht in der Wohnung befand. Oder dass ihr damaliger Lebenspartner, der nach Aussagen von Gülsen K. "drogenabhängig war und Menschen geschlagen hat", die Katze misshandelt haben könne. Auch die Tierärztin sah in dem Mann laut Gutachten einen "Katzenhasser". Doch die Angeklagte wiegelt diese Vermutung ab. "Er hat damit damit nicht zu tun." Der Richter seufzt.
In der Tierklinik, in die Mira anschließend gebracht wurde, seien mehrere Schürfwunden festgestellt worden, die chirurgisch behandelt werden mussten. Der Verteidiger zeigt ein Foto des Schwanzes, der kurz vor der Operation rasiert werden musste. Ob man die Verletzung auch gesehen hätte, als die Katze noch Haare hatte, will er wissen. Die Frau vom Veterinäramt lächelt süffisant. "Das kann man nicht übersehen. Die Haare waren verklebt, die Wunden haben geeitert." Ein MRT habe zudem mehrere Knochenbrüche offenbart. "Um das hinzukriegen, müssen Sie mit Gewalt auf eine Katze einwirken", sagt die Expertin. All diese Befunde sind laut Christina Bertram "klare Anzeichen einer Misshandlung". Güslen K. hat sich die Tränen abgewischt und (kurz) aufgehört zu weinen.
"Gut, dass sie diese Katze nicht mehr haben"
Als der Verteidiger weiter in den Akten blättert, sagt der Richter – der den Prozess offensichtlich zu Ende bringen will – zu ihm: "Sie müssen nicht unbedingt weitere Fragen stellen." Er habe keine weiteren Fragen, antwortet der Verteidiger. Die Beweisaufnahme ist geschlossen – und stellt sich, wie die Staatsanwältin meint, genauso dar, wie es in der Anklage zu lesen ist. In den Aussagen der von Gülsen K. sieht sie "reine Schutzbehauptungen". Die Angeklagte verzieht das Gesicht und wimmert.
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In einem – sehr langen – Plädoyer widerspricht der Verteidiger. Die "erheblichen Verletzungen" seien zwar gesicherte Fakten. Wie es dazu kam, sei allerdings immer noch offen: "Es könnte zu Gewalteinwirkungen gekommen sein, ein Beweis liegt aber nicht vor." Außerdem fehle das Motiv. Seine Mandantin sei eine tierliebe Frau, die Katzen ein gutes Heim bietet. "Warum geht sie überhaupt zum Arzt, wenn sie so eine böse Tierquälerin ist?", fragt er in den Raum. Als Gülsen K. schluchzend darauf antworten will, unterbricht der Richter sie. Sie habe ohnehin das letzte Wort.
Nach einer Pause, die dieses Mal nur wenige Sekunden dauert, verkündet der Richter das Urteil, das die Angeklagte sich unter Tränen anhört. Sie ist schuldig. Die Verletzungen seien schwerwiegend und nicht mit den geschilderten Umständen zu vereinbaren. Der Richter verurteilt sie zu einer Geldstrafe von 1400 Euro und merkt zum Schluss an, dass sie eigentlich keine Verantwortung für Lebewesen haben sollte: "Gut, dass sie diese Katze nicht mehr haben." Mira ist laut Gutachten nach einem langen Genesungsprozess ist ein Tierheim gebracht und inzwischen weitervermittelt worden.