Vier Wochen ist es nun schon her, dass Yangjie L. in Dessau-Roßlau brutal ermordet wurde. Vier Wochen, während derer man Zeuge eines Skandals wurde. Kopfschüttelnd musste man dabei zusehen, wie schwere Fehler und Dreistigkeiten begangen, wie das Opfer und seine Familie degradiert wurden. So, dass man sich immer wieder fragte: Passiert das hier gerade eigentlich wirklich?
Oberstaatsanwalt Folker Bittmann steht seit Beginn der Ermittlungen in der Kritik. Und das zurecht. Bittmann ging mit dem angeblichen Sex zu dritt, den das verdächtige Paar mit der Chinesin gehabt haben will, an die Öffentlichkeit. Belege dafür gibt es keinerlei, eher gibt es Hinweise darauf, dass diese Geschichte nicht stimmt. Warum spricht der Staatsanwaltschaft diese Version der mutmaßlichen Täter dann aus? Für die Eltern der Ermordeten ist die Ehre ihrer Tochter beschmutzt, sie fürchten die soziale Ausgrenzung in China.
An Taktlosigkeit kaum zu überbieten
Auch sonst zeigte sich Bittmann den trauernden Angehörigen gegenüber sehr unsensibel. Bei einer Pressekonferenz, auf der er über die Ermittlungen zu dem Mordfall informieren wollte, sprach er zuerst einmal über die Sanitäranlagen seiner Behörde. Das war an Taktlosigkeit kaum zu überbieten. Eine Entschuldigung blieb bis heute aus.
Dann sind da noch die Mutter und Stiefvater des Tatverdächtigen, beide Polizisten. Über ihre seltsame Rolle in dem Fall hat der stern schon ausführlich berichtet. Die Staatsanwaltschaft Magdeburg prüft Vorwürfe, dass Ramona S. und Jörg S. die Ermittlungen behindert haben könnten. Das allein wäre schon schlimm genug. Doch davon abgesehen zeigte das Paar ein moralisch äußerst fragwürdiges Verhalten.
Nur einen Tag nach der Trauerfeier für Yangjie L. feierten Jörg S. und seine Frau eine ausgelassene Party in einem Gartenlokal. Und das, obwohl der Revierleiter erst kürzlich beteuert hatte, wie schmerzhaft der Tod der jungen Chinesin auch für ihn sei. Wie kann jemand in einer solchen Situation feiern und Spaß haben?
Die Bilder der Gartenparty, die in sozialen Netzwerken auftauchten, bewegten das Innenministerium Sachsen-Anhalts dann endlich zum Handeln. Innenminister Holger Stahlknecht (CDU) suspendierte Revierleiter Jörg S. Doch warum die späte Reaktion? Stahlknecht hätte schon viel früher agieren müssen. Und zwar als klar war, dass der Hauptverdächtige zugleich Stiefsohn des Revierleiters ist. Dieser Umstand verursachte zurecht viel Misstrauen - dem Stahlknecht mit einer früheren Reaktion hätte entgegenwirken können.
Innenminister muss für Aufklärung sorgen
Das alles könnte Stoff für eine Serie bieten, doch die Ereignisse in Dessau sind traurige Realität. Und es beschleicht einen nicht nur Wut. Sondern auch Angst. Darüber, dass sich uns die ganze Tragweite dieser Geschichte vielleicht noch gar nicht erschlossen hat. War die Tat vielleicht doch rassistisch motiviert? Welche Rolle spielte die Polizei wirklich? All die Seltsamkeiten während der Ermittlungen - einfach eine Aneinanderreihung vieler Zufälle?
Die Wahrheit über den Mord an der jungen Studentin muss ans Licht - und zwar vollständig.

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Innenminister Stahlknecht steht morgen dem Innenausschuss des Landes Rede und Antwort zum Fall Yangjie L. Die Linksfraktion verlangt eine "rückhaltlose und unverzügliche Aufklärung". Der Minister sollte mit gutem Beispiel vorangehen.