Die AfD ist mit einer Klage gegen Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) vor dem Hamburgischen Verfassungsgericht gescheitert. Die im Rahmen eines Organklageverfahrens gestellten Anträge des AfD-Landesverbands, der Bürgerschaftsfraktion und einzelner Abgeordneter seien nur teilweise zulässig und würden – soweit sie zulässig seien – als unbegründet zurückgewiesen, sagte die Vorsitzende und Verfassungsgerichtspräsidentin Birgit Voßkühler bei der Urteilsbegründung.
Die AfD hatte sich durch einen Debattenbeitrag Grotes in einer Bürgerschaftssitzung in ihren Rechten verletzt gesehen. Grote hatte unter anderem gesagt, dass sich die AfD radikalisiert habe und "die Relativierung des Nationalsozialismus und des Holocaust (…) zur Grunderzählung" der Partei gehörten. Die AfD hatte darin einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot gesehen.
Kein Neutralitätsgebot für Regierungsvertreter in Parlamentsdebatte
"Dieses Neutralitätsgebot gilt indes nicht im Rahmen einer Parlamentsdebatte – auch wenn der Debattenbeitrag nicht von einem Abgeordneten, sondern von einem Mitglied des Senats stammt", sagte Voßkühler. Die Kritik am politischen Gegner sei ihnen gestattet. "Auch überspitzte und polemische Formulierungen und bewusste Polarisierungen sind ihnen grundsätzlich erlaubt", sagte sie.
Die Entscheidung des Gerichts fiel einstimmig (HVerfG 2/2024).
Während die AfD sich von dem Urteil des höchsten Hamburger Gerichts enttäuscht zeigte, sah der Innensenator darin einen wichtigen Erfolg für die politische Auseinandersetzung. "Immer wieder versucht die AfD systematisch, demokratische Amtsträger im politischen Streit gerichtlich mundtot zu machen. Ich bin deshalb sehr froh, dass das Hamburgische Verfassungsgericht heute die Freiheit der demokratischen Debatte gestärkt hat."
Verfassungsgericht: Grotes Äußerungen nicht zu beanstanden
Der Chef der Hamburger Senatskanzlei, Staatsrat Jan Pörksen, verwies darauf, dass die Äußerungen Grotes nach Ansicht des Gerichts auch nicht über das Sachlichkeitsgebot hinausgegangen seien, "weil sie eben auf Tatsachen gegründet waren".

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Das Gericht hatte in seinem Urteil festgestellt, dass die Aussage Grotes, die Relativierung des Nationalsozialismus und des Holocaust gehörten zur Grunderzählung der AfD, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. "Erkennbar wird damit auf Äußerungen von Parteivertretern der AfD Bezug genommen, die die Erinnerungskultur an die Verbrechen des Nationalsozialismus kritisieren", heißt es in dem Urteil.
Auch habe Grote die AfD-Abgeordneten "nicht öffentlich herabgewürdigt, sie als Holocaustleugner und Straftäter bezeichnet oder sie verbal verbannt", sagte Voßkühler. Vielmehr habe der Senator in seinem Debattenbeitrag nicht über die Abgeordneten, sondern über die AfD als Partei gesprochen.
AfD kritisiert "wohlwollende" Haltung des Gerichts gegenüber Grote
Schon in der mündlichen Verhandlung habe das Gericht "durchblicken lassen", dass es die Äußerungen Grotes sehr wohlwollend auslege, sagte der Vertreter der AfD, der Bundestagsabgeordnete und frühere Bürgerschaftsabgeordnete Alexander Wolf. "Ich halte es für sehr bedenklich, das Neutralitätsgebot so einzuschränken, dass es im parlamentarischen Raum im Rahmen einer Parlamentsdebatte überhaupt nicht gelten solle."
In einer Parlamentsdebatte werde ein Innensenator nicht als Partei-, sondern als Senatsvertreter wahrgenommen. "Das heißt, er spricht auch dort mit einer Amtsautorität, die ihn zu einer Zurückhaltung und zu einem neutralen Verhalten zwingen sollte", sagte Wolf.
Nicht nachvollziehbar sei für ihn auch, "dass das Gericht das Sachlichkeitsgebot zwar darlegt und dann gleichzeitig behauptet, Herr Grote hätte nicht dagegen verstoßen." Erneut warf Wolf dem Senator vor, unwahre Tatsachen behauptet zu haben. "Er hat mich, uns von der AfD, verleumdet. Die Aussage, die Leugnung des Holocaust gehöre zur Grunderzählung, zur DNA der AfD, ist eine dermaßen verleumderische und unwahre Aussage."
Er ließ offen, ob man die Entscheidung des Hamburger Gerichts hinnehmen oder weitere Schritte unternehmen werde.