Es ist eine Nachricht, die Insider aus der Automotive-Branche nicht überraschte. Und die für die Beschäftigten und den Industriestandort Saarland dennoch eine bittere Botschaft darstellt: Dem Werk des Automobilzulieferers Voit in St. Ingbert droht im nächsten Jahr das Aus.
"Die Reaktion der Kollegen reicht von Enttäuschung und Zukunftsängsten bis zu Frust und Wut", sagt Patrick Selzer, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Saarbrücken. Dabei hätten die Beschäftigten keinerlei Schuld an der Entwicklung: "Sie sind Opfer der Rahmenbedingungen geworden und dass viel zu spät über einen belastbaren Fahrplan der Transformation in der Bundesregierung und auf europäischer Ebene gesprochen wurde."
Für Selzer ist Voit aktuell nur einer von vielen Betrieben aus der Zulieferbranche im Saarland, die um ihre Existenz kämpfen: "Ich schätze, dass 15 Prozent von ihnen akut gefährdet sind. Bis zu 60 Prozent stecken in schwierigem Fahrwasser", sagt er. Die restlichen Unternehmen hätten teilweise neue Technologie-Ansätze, die eine Perspektive böten. Auch bei ZF gebe es die Hoffnung, mit neuen Produkten den Abwärtstrend stoppen und Kunden gewinnen zu können.
ZF plant nicht mehr mit Voit
Doch ausgerechnet dieser saarländische Automobilzulieferer ist laut Voit dafür verantwortlich, dass Ende September 2026 das Ende des Betriebes bevorstehe. "Hauptkunde ZF plant kurz- und mittelfristig nicht mehr mit Voit", gab das Unternehmen bekannt. Obwohl die eingeleitete Neuaufstellung erste Erfolge gezeigt habe und es gelungen sei, mitunter sogar das Betriebsergebnis wieder ausgeglichen zu gestalten, habe die ZF AG mitgeteilt, "dass sie alle Produkte von Voit abzieht und zum Wettbewerb verlagert".
Die Voit-Betriebsratsvorsitzende Sandra Dellmann rechnet damit, dass die aktuell 680 Mitarbeiter in der ersten Jahreshälfte 2026 nach und nach in eine auch von ZF mitfinanzierte Transfergesellschaft wechseln können. Und dass diese ihnen die gleichen Konditionen biete wie den ehemaligen Mitarbeitern, die bereits von einem ersten Personalabbau betroffen waren.
"Wir hatten vergeblich große Hoffnung, den nun eintretenden Fall zu vermeiden", so Voit-Geschäftsführer Hendrik Otterbach. "Es liegen schon schwere Monate hinter, aber offenbar noch schwerere vor uns."
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Vorbereitungen für Kurzarbeit bei ZF
So wie für andere in der Branche: "Sowohl ZF als auch seine Lieferanten sehen sich derzeit mit einem schwierigen wirtschaftlichen Marktumfeld konfrontiert, das von vielen Unsicherheiten und Risiken geprägt ist", teilt eine ZF-Sprecherin dazu mit, warum die Zusammenarbeit mit Voit beendet werde. "Die anhaltende Marktschwäche mit entsprechenden Abrufreduzierungen der Kunden lassen es derzeit nicht zu, dass man die Abnahmemengen bei den Lieferanten erhöht oder umverteilt." Selbstverständlich halte man sich jederzeit an die vertraglich vereinbarten Verpflichtungen.
Aktuell kommen für die Branche Lieferprobleme bei Chip-Hersteller Nexperia hinzu. Zwar ständen Exportlockerungen für Nexperia-Chips aus chinesischer Fertigung im Raum, die Situation bleibe aber branchenweit weiter sehr angespannt, so die ZF-Sprecherin. Unklar sei, in welchem Umfang und welcher Geschwindigkeit die Belieferung aus China wieder anlaufen könnte. Daher arbeite man nach wie vor mit Hochdruck daran, die Versorgung abzusichern. "Aufgrund der dynamischen Lage" bereite sich ZF vorsorglich an einzelnen Standorten auf Kurzarbeit vor - auch in Saarbrücken.
Gerade das Saarland ist laut IG Metall besonders vom Wandel in der Automotive-Branche betroffen. Speziell die Zulieferbetriebe mit hoher Abhängigkeit vom Verbrennungsmotor: Mit rund 4,8 Prozent aller Beschäftigten sei dies der höchste Anteil bundesweit.
Nach Angaben des Wirtschaftsministeriums sind 38.000 Menschen direkt und indirekt im saarländischen Fahrzeugbau beschäftigt. Dass aktuell die Zulieferer unter Druck geraten, hängt nach Einschätzung von Wirtschaftsminister Jürgen Barke (SPD) auch damit zusammen, dass 75 Prozent der Wertschöpfung bei einem Fahrzeug aus der Zulieferung stammen. Er erinnert sich sogar an ein Fahrzeugmodell, bei dem einmal 60 Prozent "Local Content" aus dem Saarland kamen. "Wir haben da einen deutlich höheren Anteil als Bayern oder Baden-Württemberg. Deshalb sind wir im Verhältnis auch deutlich stärker betroffen von den Herausforderungen, um die es jetzt geht", sagte er.
Vor allem das 2035 anvisierte Verbrenner-Aus zählt er dazu. "Wir müssen dringend längere Zeiträume für die Übergänge organisieren", so Barke. Bereits vor einem Jahr habe das Saarland eine Bundesrats-Initiative zum beschleunigten Hochlauf der Elektromobilität durch neue Kaufanreize und zu fairen Übergangslösungen für teilelektrische Antriebe wie Plug-In-Hybride und Range Extender auf den Weg gebracht. Sowohl bei der Bundesregierung als auch der EU-Kommission gebe es zwar Bewegung, "aber es geht viel zu langsam".
"Reparaturbetrieb für Management-Fehler"
Der Wirtschaftsminister sieht die Ursache für die Probleme allerdings nicht nur bei der Politik. "Sie ist auch der Reparaturbetrieb für Management-Fehler", meint Barke. Sein Eindruck: In dem Moment, wo VW einen massiven Personalabbau angekündigt hatte, hätten auch andere Unternehmen nachgezogen. Mit weitreichenden Konsequenzen. "Wenn Bosch vor fünf Jahren gesagt hätte, dass im Saarland 2000 Arbeitsplätze abgebaut würden, hätte das Schlagzeilen in den Tagesthemen gebracht. Heute ist es angesichts der bundesweiten Hiobsbotschaften unterhalb der Wahrnehmungsschwelle."
Entwicklungen in der Vergangenheit verschlafen
Und genau das sei bei dem ein oder anderen Management offenbar auch Strategie, nach dem Motto: "Wenn es alle tun, wird man auch uns glauben, dass der Personalabbau aufgrund der aktuellen Situation notwendig ist." Dabei handle es sich ebenso "um viele wichtige Entwicklungen in der Vergangenheit, die einfach verschlafen worden sind".
Barkes Bilanz zur aktuellen Situation: "Nur wenn die Hersteller ein klares Commitment zum Standort abgeben – mit neuen Produkten und Technologien, mit einem klaren Fahrplan für die Zukunft – nur dann kann es wieder nach vorne gehen."
Auch Gewerkschafter Selzer fordert, dass nicht nur die Politik schnelle Entscheidungen treffen müsse, sondern auch die Arbeitgeber ihren Teil beitragen: "Wir erwarten, dass sie ihrer Verantwortung gerecht und zu einer Standort- und Beschäftigungssicherung verpflichtet werden." Andernfalls werde die Gewerkschaft ihren Druck erhöhen.
Automobilindustrie im Saarland / Wirtschaftsministerium IG Metall: Forderungen für die saarländische Automobil- und Zulieferindustrie