Stundenlang hatten sie geduldig in der Maske gesessen, die zwei Männer, die am Montagnachmittag in London Juwelen im Wert von 46 Millionen Euro rauben sollten. In einem kleinen Salon für Theater- und Filmeffekte hatte ein Spezialist für sie am Morgen Latex-Masken angepasst, eine mit weißer, eine mit schwarzer Haut. Vorsichtig hatte er Nasen geformt, Augenbrauen angefügt und die Einzelstücke vorsichtig auf die Gesichter der beiden Männer gelegt.
Seelenruhig in der Maske
Die hatten geduldig gewartet, bis der Kleber getrocknet war. Der Theater-Spezialist erkannte seine Masken schließlich in den Abendnachrichten auf den Überwachungsvideos des Juwelierladens Graff - und meldete sich sofort bei der Polizei.
Er sagt, die Männer haben nicht viel geredet. Überhaupt seien sie erstaunlich ruhig gewesen, sie sagten ihm, dass sie sich für ein Musikvideo verkleiden wollten. Normalerweise seien Angestellte der Musikindustrie schon lebhafter, er habe sich gewundert.
Die Aussage des Spezialisten aus dem Make-up-Salon ist der wichtigste Hinweis, den Scotland Yard in den Tagen nach dem Diamanten-Raub erhalten hat. Angesichts der Videoaufnahmen hatten sich bereits viele Beobachter über die Kaltblütigkeit der Täter gewundert, die mit aller Seelenruhe vor die Linsen der Überwachungskameras traten. Sekunden später zogen sie ihre Pistolen. Zwei Minuten brauchten sie vom Betreten des Ladens zum Füllen ihrer Taschen mit 43 Preziosen. Dabei hielten sie einer Angestellten eine Pistole in den Rücken, zwangen sie, eine Vitrine zu öffnen und ihnen Ohrringe, Halsketten, Armbänder und Ringe zu übergeben. Anschließend nahmen sie die Frau als Geisel.
Vor dem Geschäft auf der New Bond Street, der Luxusmeile im teuren Westen der Stadt, filmte ein unbeteiligter Passant zur selben Zeit mit seinem Mobiltelefon einen roten Ferrari, der unbeteiligt vor dem Juweliergeschäft parkte. Seine Aufnahmen zeigen, wie einer der beiden Täter zu dem wartenden Fluchtauto, einem blauen BMW, rannte und der andere mitsamt Geisel nachfolgte.
Täter sollen keine Helden werden
Ein Wachmann des Juwelierladens stürzte daraufhin hinter seiner Kollegin her. Einer der Täter feuerte mit seiner Pistole. Die Videoaufnahme wackelt an dieser Stelle stark, der filmende Passant und die umstehenden Zuschauer brachten sich in Sicherheit. Die Täter ließen die Geisel los, sprangen in den BMW und rasten davon, die Luxus-Einkaufsstraße der New Bond Street entlang. Sie stießen eine Querstraße weiter mit einem schwarzen Taxi zusammen.
Dort feuerten sie erneut Warnschüsse in den Boden, als ein Passant versuchte, sie zu verfolgen. Der hatte nur die Kollision mit dem Londoner Taxi gesehen und wollte die Männer an einer Fahrerflucht hindern. Die Männer wechselten das Fluchtauto und fahren weiter. An einem kleinen Park wenige Straßen gen Osten übergaben sie ein kleines Paket an einen Motorradfahrer und wechselten kurze Zeit später das Auto erneut. Sie entkamen in einem schwarzen Transporter.
Angesichts eines solch filmreifen Raubüberfalls waren die britischen Zeitungen im Verlauf der Woche auffällig darum bemüht, aus den Tätern keine Helden zu machen. Gerade erst ist im Land die Diskussion um die Begnadigung des Posträubers Ronnie Biggs abgeklungen. Der darf nun nach einer Begnadigung des Justizministers als freier Mann seinem Tod entgegen dämmern. Im Laufe der Debatte hatte sich auch der Enkel des Zugfahrers zu Wort gemeldet, der 1963 bei dem Postraub schwer am Kopf verletzt worden war und wenige Jahre nach dem Überfall starb. Auch wenn Herr Biggs nun ein alter Mann sei und sympathisch wirke, dürfe man nicht vergessen, dass er Menschenleben zerstört habe für seine eigene Bereicherung, sagte der Enkel. Er habe eine Begnadigung nicht verdient.

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Scotland Yard wartet auf Fehler
Die Medienberichte konzentrierten sich nun vor allem auf die Frage, was mit den Diamanten passieren wird, die erbeutet wurden. Experten schätzen, dass die Juwelen im Wert von 47 Millionen Pfund für den Weiterkauf zerlegt und eingeschmolzen, vielleicht sogar zerteilt werden müssen. So dürfte zum Beispiel ein quadratisch geschnittener Diamantring im Wert von sechs Millionen Euro so leicht erkannt werden, dass ihn niemand mehr öffentlich wird tragen können. Die Täter werden für alle 43 Juwelen nicht mehr als 4,6 Millionen Euro auf dem Schwarzmarkt erzielen können.
Scotland Yard hat Zeit - die meisten Fehler passieren Gangstern beim Umsetzen der Beute. Ein solch komplizierter Raubüberfall birgt die große Gefahr, dass zu viele beteiligt werden müssen. Eine große Bande zerbricht leicht im Streit, was wiederum den Ermittlern die Chance gibt, Kronzeugen zu finden. Die britische Polizei hat eine sehr gute Aufklärungsrate der großen Juwelen-Raubzüge. Die Räuber von Cartier-Uhren im Wert von über 4,6 Millionen Euro am Flughafen von Southend im Jahr 2001 sitzen ebenso schon längst hinter Gittern, wie Mitglieder der internationalen Verbrecherbande "Pink Panther", die mehrere Überfälle mit Millionenbeute in London ausführten.
Die größte Gefahr sind die Täter dabei sich selbst sagt Peter Bleksley, ehemaliger Polizist bei Scotland Yard: "Die denken, sie könnten jetzt in Saus und Braus leben. Aber die meisten sind ziemlich provinziell. Wenn sie nicht in Handschellen wiederkommen, dann kommen viele aus eigenem Antrieb zurück. Aus Sehnsucht nach der alten Heimat."