Zivilcourage Bloß nicht den Helden spielen

Von Thomas Götemann
Wer Zeuge von Gewalt im Alltag wird, weiß häufig nicht genau, wie er sich verhalten soll. Eingreifen? Um Hilfe rufen? Polizei verständigen? Es gibt einige Verhaltensregeln, die für Sicherheit sorgen - stern.de zeigt, wie es geht.

Angesichts der aktuellen Fälle von Jugendgewalt in München fragen sich viele, wie sie sich vor Übergriffen schützen oder als Beobachter von Gewaltausbrüchen helfend eingreifen können. Zivilcourage zu zeigen scheint heutzutage gefährlicher denn je zu sein. Die Ängste vor einem beherzten Eingreifen sind durchaus berechtigt. Dennoch: Menschen in Not zu helfen ist Bürgerpflicht.

Brenzlige Situationen können mit einem energischen Eingriff, einem entschlossenen Handeln oder einem deutlichen Wort schnell entschärft werden. Beim Thema "Nicht wegsehen, Zivilcourage zeigen" ist schnelle und umsichtige Hilfe gefragt. Wer nichts tut, macht mit. So jedenfalls sieht es die Polizei und gibt Helfern für das richtige Eingreifen sechs goldene Regeln mit auf den Weg.

1. Ich helfe, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen.
2. Ich fordere andere aktiv und direkt zur Mithilfe auf.
3. Ich beobachte genau und präge mir Tätermerkmale ein.
4. Ich organisiere Hilfe unter Notruf 110.
5. Ich kümmere mich um Opfer.
6. Ich stelle mich als Zeuge zur Verfügung.

Nicht provozieren und nicht provozieren lassen

Die Regeln erklären sich im Wesentlichen selbst. Was die direkte Einmischung angeht, so gibt es für die Punkte 1 und 2 einige wichtige Erläuterungen zum Handeln. So sollten Sie beim Eingreifen schnelle Bewegungen vermeiden, die beim Täter unkontrollierte Reaktionen hervorrufen könnten. Siezen Sie den Täter, und fassen Sie ihn nicht an. Beim Duzen könnte sonst bei Außenstehenden der Eindruck entstehen, es handele sich um eine private Auseinandersetzung. Ihr Auftreten sollte beruhigend und gleichzeitig souverän sein. Beim Sprechen sollten Sie auf eine klare Sprache achten und dem Täter konzentriert zuhören. Schauen Sie den Täter mit festem Blick an, lassen Sie sich nicht provozieren und provozieren Sie auch nicht selbst. Über das Verwenden klarer Ich-Botschaften erkennt der Täter ihre Motive für ihr Eingreifen.

Soweit die Kurzanleitung zum Handeln, aber ist sie auch alltagstauglich? Die gefühlt gestiegene Gewaltbereitschaft nicht nur bei Jugendlichen führt mittlerweile zu Bedenken auch bei jenen, die sich bisher auf der Seite der couragierten Helfer sahen. Sie fragen sich schon bei Kleinigkeiten wie lauter Walkman-Musik in der U-Bahn: "Was darf ich heute überhaupt noch sagen, ohne gleich mit Gewalt konfrontiert zu werden?"

Die eigene Angst kann ein guter Berater sein

Dass sich die Gefährdung für Gesundheit und Leben beim Einmischen in den vergangenen Jahren deutlich erhöht hat, weist keine Statistik aus. Außerdem fehlen die entsprechenden Studien. Darauf verweist Professor Thomas Feltes, Kriminologe an der Ruhr Universität Bochum. Er sagt: "Allerdings kann man vermuten, dass es so ist. Generell scheint die Reizschwelle niedriger geworden zu sein. Wer keine Chancen in dieser Gesellschaft hat, der hat auch nichts zu verlieren."

Es bleibt also spekulativ, genährt von Berichten über Helfer, die Zivilcourage mit schweren Verletzungen oder mit dem eigenen Leben bezahlen mussten. So muss jeder situativ entscheiden, wann und wo er sich einmischt. Die eigene Angst kann dabei ein guter Berater sein, was die gebotene Vorsicht angeht. Allerdings sollte man sich nicht von ihr in seinen Möglichkeiten hemmen lassen. Das Wichtigste aber bleibt: keine Alleingänge und bloß nicht den Helden spielen.