Die morgendliche Dusche gehört für die meisten zu den täglichen Hygiene-Riten wie Haarekämmen oder Zähneputzen. Schon über mehrere Tage nicht zu duschen, kommt da vielen einer Auswilderung gleich. "Ich habe seit zwölf Jahre nicht geduscht", sagt David Whitlock. Stattdessen besprüht sich der 60-Jährige zweimal täglich mit einem Spray. Darin enthalten: Bakterien, die sich vor allem im Boden finden. Im Boden von Pferdeställen zum Beispiel.
Denn der Chemiker mit Abschluss an der Elite-Uni Massachusetts Institute of Technology (MIT) ist überzeugt, dass jene "schmutzigen" Bakterien, die wir uns voller Eifer mit Seife und Shampoo vom Leibe waschen, eigentlich einen positiven Nutzen haben. Übertriebene Hygiene sieht er daher mit großer Skepsis: Schließlich gäbe es keine klinischen Tests an Menschen, die täglichen duschen, so Whitlock. "Woher also die Annahme, dass das gesund ist?"
Bakterien sind Deodorant und Hautreinigung in einem
Die Kritik an übertriebener Körperhygiene ist nicht neu. Doch deswegen gänzlich aufs Duschen zu verzichten, dürfte bislang keinem eingefallen sein. Wie riecht ein Mann, der seit zwölf Jahren keine Dusche mehr genommen hat und sich lediglich mit einem Schwamm den ärgsten Schmutz vom Körper wäscht? Die Reporterin des "New York Times Magazine" Julia Scott traf Whitlock, ging nah genug an ihn heran, und stellte fest, dass er weder unappetitlich roch noch aussah.
Was machen die Bakterien auf Whitlocks Haut also, dass ihm der Duschverzicht keinen Abbruch tut? Bei den verwendeten Bakterien handelt es sich um Nitrosomonas eutropha, die das streng riechende Ammoniak in unserem Schweiß zersetzen und in Nitrit und Nitrit-Oxide verwandeln. Dabei wird wiederum Energie frei, die unsere Hautzellen erneuert und aufbaut. Diese Ammonium-oxidierenden Bakterien (AOB) finden sich vor allem im Boden und naturbelassenen Gewässern. Einst haben sie sich womöglich aber auch auf unserer Haut zu Milliarden getummelt und uns dort gute Dienste geleistet: sie wirkten als Antitranspirant und entzündungshemmend gegen Hautausschlag. Bis wir anfingen, die natürlichen Reiniger durch chemische Reinigungsmittel, Deos und Shampoos zu ersetzen.
Wie kommt man auf die Idee, sich mit Schmutz zu besprühen?
Auf die Idee, sich mit Schmutzbakterien zu besprühen kam Whittlock 2001 durch eine Bekannte, die sich wunderte, warum ihr Pferd sich im Sommer immer im Dreck wälzte. Whitlock mutmaßte, dass das Suhlen sich womöglich positiv auf das Schwitzen der Tiere auswirkt. Er entnahm Bodenproben des Stalls, um zu untersuchen, ob sich darin jene Bakterien befänden, die Schweiß tilgen. Tatsächlich fand er in den Bodenproben das AOB-Bakterium N. eutropha, das Ammoniak zersetzt. Um seine Theorie vom saubermachenden Dreck zu überprüfen, sprühte er sich die Bakterien mit Wasser verdünnt auf die Haut - und wartete ein paar Tage, ohne sich derweil mit Seife oder Shampoo zu waschen. Als er dann seine skeptischen Kollegen bat, an ihm zu schnüffeln, stellten sie genau wie Julia Scott nichts fest: Whitlock roch normal und sah auch so aus.
Eine Revolution des Kosmetikmarkts?
Whitlock glaubt mit dieser Entdeckung nun den Kosmetikmarkt revolutionieren zu können. Er will die Menschheit überzeugen, sich ebenfalls mit dem Bakterien-Spray statt mit Shampoo und Duschgels zu "waschen". Zusammen mit dem Start-Up AOBiome aus Cambridge hat er die Linie "Mother Dirt" (Mutter Dreck) entwickelt - 44 Euro kostet das "AO+ Mist" getaufte Spray. Es sei geruchslos und wer es zweimal täglich über Haut und Haare sprühe, könne auf Deo, Shampoo und Duschgel verzichten und seine natürliche Hautflora wieder herstellen, werben die Hersteller.
Vorausgesetzt man sei bereit, eine gewisse "Eingewöhnungszeit" durchzumachen, heißt es außerdem. Gemeint ist, dass man zu Beginn gewisse Einbußen hinnehmen muss. Julia Scott vom "New York Time Magazine" hat "AO+ Mist" getestet. Nach Tagen des sozialen Rückzugs wegen fettiger Haare und Körpergeruchs habe sie tatsächlich eine deutliche Verbesserung ihrer Haut festgestellt. Ihre Poren seien erstmals seit der Pubertät sichtlich zurückgegangen, schreibt sie. Andere Probanden berichteten, dass der stechende Schweißgeruch nach einigen Tagen nachgelassen habe.
Ein bisschen mehr Dreck im Alltag, darauf kann man sich einigen, schadet uns sicherlich nicht. Denn wir hätten ihn heute regelrecht aus unserem Leben verbannt - Sauberkeit werde mit Sterilität gleichgesetzt, sagt die Marketingmanagerin von AOBiome, Jasmina Aganovic, dem TV-Sender CBS Boston. Dabei verliere man aus dem Fokus, dass Bakterien gesund für unsere Haut sind. Tatsächlich ist das Unternehmen nicht das erste, das sich an Probiotika - lebenden Mikroorganismen - in Kosmetikprodukten versucht. L’Oreal etwa hat bereits Bakterienprodukte für trockene Haut patentieren lassen. Klingt gut, Langzeitstudien, die all diese Effekte belegen, gibt es allerdings nicht. AOBiome will demnächst klinische Studien starten, um unter anderem die Wirkung der Bakterien auf entzündliche Hautstörungen wie Akne zu testen. Sprich: Dreck gegen Pickel.
Das wäre in der Tat revolutionär.