dasgegenteilvontraurig Sport hilft. Aber wer hilft Sport?

Ich stelle mir den Wecker, früh, um was geschafft zu bekommen. Bevor ich schlafen gehe muss ich darüber auch des Öfteren mal herzlich lachen. Als Selbstständiger bin ich mein eigener Herr, kann meine Zeit frei einteilen.
Das ist geil.
Und scheiße, wenn man depressiv ist.
Meist entspinnt sich dann ein relativ konsequenzfreier Dialog zwischen dem Wecker und mir, welcher mich für die nächsten Stunden weiterdösen lässt.
Auch das klingt auf den ersten Blick erstmal extrem schnafte, und danach könnte man sich ja eigentlich mal erheben und diesem schönen Job nachgehen, den man sein eigen nennt.
In meinem Kopf allerdings geschieht etwas anderes.
Ich ärgere mich. Ärgere mich über mich selbst, dass ich nicht die Disziplin habe, einfach die Zähne zusammenzubeißen und mich aus dem Bett zu schwingen. An manchen Tagen kann ich das. An vielen eben nicht. Bis hierhin ist das reine Disziplinlosigkeit. Man darf auch Faulheit sagen. Ich bin da nich so.
Was dann allerdings danach einsetzt ist eine bizarre Spirale.
Ich ärgere mich über mein Verhalten. Und dann ärgere ich mich noch etwas mehr über meine Disziplinlosigkeit. Und damit erreiche ich einen recht eigentümlichen Zustand, welcher mich in eine dieser für viele Depressionen typischen lethargischen Zustände schubst, ganz fies von der Seite, und dann habe ich einfach keinen Bock mehr aufzustehen. Bei Kleinkindern nennt man das Trotz. Keine Ahnung, ob es ein erwachsenes Wort dafür gibt. Bestimmt nicht. Na toll. Noch was, was man dringend mal angehen müsste. Stattdessen denkt man sich aber ganz unterschwellig folgendes Gefühl zusammen:

“Ich hab ja ohnehin schon bei dieser Kleinigkeit versagt. Mann is das ätzend. Du bist so ein richtiger Depp, weißt du das eigentlich? Steh doch einfach mal auf. Ja, nee, jetzt muss das auch nich mehr sein, das haste nun schon vergeigt, aber morgen vielleicht nochmal. Lass uns mal bis morgen warten. Das is gut.”

Naja – und dann pimmelt man eben im Bett rum, bis mal das Telefon klingelt. Da geht man dann aber natürlich nicht ran, denn jetzt mit irgendwem zu reden – das ist zu anstrengend. Da will jemand was von einem. Noch mehr, was man dann nicht geschafft bekommt.
Dann aber – muss man ja irgendwann mal zurückrufen, so ein Telefon vergisst sowas ja auch nicht einfach. Das macht ein schlechtes Gewissen, denn es ist etwas, was man noch dringend zu erledigen hätte.

“Zurückrufen. Krasser shit. Unschaffbar.”

Im allerschlimmsten Fall ruft die gleiche Person dann zwei Stunden später nochmal an, man selbst hat das grad schön verdrängt – Bumm – geht man wieder nicht ran – weil man ja schon vorhin hätte rangehen können/müssen, und dann müsste man sich erst eine Ausrede einfallen lassen, warum man vorhin nicht ans Telefon gehen konnte, jetzt aber schon, warum man nicht zurückgerufen hat, etc etc.
Das schlechte Gewissen hat sich verdoppelt, zweimal ignoriert, es wartet ein Gespräch, man müsste zurückrufen. So wird aus einem Telefongespräch (welches sich meist ohnehin nur als “Hey, wie geht´s, alles cool, wollte mal Hallo sagen” entpuppt) ein regelrechter Berg aus zu gleichen Teilen eingebildeter Arbeit und schlechtem Gewissen.

Solche Berge bezwingt jeder normale Mensch mit einem Augenzwinkern.
Für mich können das Tagesaufgaben werden.
Wie ich es dennoch schaffe, regelmäßig genug Geld zu verdienen um nicht zu verhungern – entzieht sich völlig meiner Kenntnis.

Viele behaupten, Sport sei gut gegen diese Lethargie.
Wenn Sport bei mir vorbeischauen würde, unangemeldet, und sich nicht darum scherte, dass meine Wohnung aussieht wie der Vorgarten von Mordor – wäre ich da voll bei.

Das alles hat dann nämlich leider schon längst nichts mehr mit “zusammenreißen” zu tun – über den Punkt bin zumindest ich innerhalb der ersten Minuten dann hinaus.

Ab da läuft ein Programm namens “Schuldgefühle und Lethargie“, welches sich nur schwerlich abbrechen lässt, aber in vollem Bewusstsein der so versickernden Zeit stattfindet.
Lethargie verursacht Schuldgefühle, und diese nun noch mehr Lethargie.
Und das ist nur die Rechnung, die man mit sich ganz allein auszumachen hat.

Wenn dann noch Menschen von außen dazustoßen, vielleicht sogar noch Freunde, und einem den guten Ratschlag geben “sich vielleicht einfach mal zusammenzureißen” – potenzieren sich dieser Ärger über sich selbst, die Schuldgefühle, das Bewusstsein, grad so massiv Zeit zu verschwenden als sähe man sich zum dritten Mal die Ballettinterpretation einer Gebrauchsanleitung für Korkenzieher im Fernsehen an.

So geht ein extrem anstrengender Tag dann auch zu Ende.
Man hat nix geschissen bekommen, aber immerhin ist man sich dessen auf wirklich jeder Ebene vollends bewusst.
Dann stellt man den Wecker früh.
Und dann ist es da – das erste, wirklich herzhafte Lachen des Tages.

P.S. Ja – ich poste dies um kurz nach 8. Ich bin mir der Ironie durchaus bewusst.

Edit: Der Beitrag ist am 28. Januar 2014 das erste Mal erschienen auf http://dasgegenteilvontraurig.wordpress.com dort sind auch die Kommentare des Beitrags zu finden.

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