Hirschhausens Sprechstunde "Ey, Alter, was geht?"

Für Dr. med. Eckart von Hirschhausen ist Weisheit Mischung aus Gelassenheit, Herzenswärme, Humor und Geduld
Für Dr. med. Eckart von Hirschhausen ist Weisheit Mischung aus Gelassenheit, Herzenswärme, Humor und Geduld
© Colourbox
Trübsal blasen aufgrund des Alters? Mitnichten! Cool ist man selten mit 17, sondern eher ab 70, weiß Dr. med. Eckart von Hirschhausen.

Wann ist man alt? Wenn man sich beim Schuhebinden fragt: "Was könnte ich denn noch erledigen, wo ich doch schon mal hier unten bin?"

Über die Defizite des Älterwerdens gibt es unendlich viele Witze. Kein Wunder, wenn viele ab Mitte 30 aufhören, ihre Geburtstage laut mitzuzählen. Was für ein Unsinn! Was ich über das Leben weiß, verdanke ich maßgeblich Menschen, die älter sind als ich. Darin liegt ja das Geheimnis von Homo sapiens, dass er sich im Gegensatz zum Rest der Tierwelt weit über seine fruchtbaren Jahre hinaus Gedanken machen kann. In der Zeit der fortpflanzungsfördernden und -fordernden Hormone ist das ja nur begrenzt möglich. Über lange Zeiträume hinweg können wir Erfahrungen sortieren, Muster erkennen und weitergeben - ja, mit den Jahren sogar weise werden. Wobei die Weißheit auf dem Kopf von allein kommt, die Weisheit im Kopf nicht. Warum haben eigentlich so viele Menschen Angst davor, alt zu werden, statt davor, dumm zu bleiben?

Gemeinsam statt einsam

Weisheit ist schwer zu definieren, doch man spürt sie. Für mich ist sie eine Mischung aus Gelassenheit, Herzenswärme, Humor und Geduld. All das hätte ich gern nicht erst mit 80, sondern sofort! Gelassenheit kommt, wenn man weiß, was man lassen kann. Wichtig und unwichtig zu unterscheiden ist wichtig. Beispiel: Ein Mann wird 100. Ein Reporter bestürmt ihn: "Was unsere Leser wissen wollen: Wie wird man 100, wie haben Sie das geschafft? Bitte kurze Antworten!" Der Mann überlegt eine Weile und sagt: "Ich streite mich nie." Darauf der Reporter enttäuscht: "Das kann es doch nicht sein!" Der Mann: "Vermutlich haben Sie recht."

Cool ist man selten mit 17, eher ab 70. Henning Scherf ist so jemand, Jahrgang 1938, der ehemalige Bürgermeister von Bremen. Er lebt in einer Wohngemeinschaft, Motto "Gemeinsam statt einsam". Ich traf ihn einmal auf einer Tagung über Glück. Er ist mehr als zwei Meter groß und einem trotzdem nah. Bildlich gesprochen befindet man sich automatisch auf Augenhöhe mit seinem Herzen.

Er lacht viel und legt einem die Hand auf die Schulter, was sich ungewohnt, aber gut anfühlt. Seltsam, wie viel leichter es in unserer ironischen Kultur fällt, jemanden auf den Arm zu nehmen, als ihn in die Arme zu schließen. Oder Renate Delfs, Jahrgang 1925. Mit 50 erfüllte sie sich ihren Lebenstraum, Schauspielerin zu werden. In ihrem aktuellen Film über ein Mädchen mit Tourettesyndrom spielt sie, was sie ist: eine Großmutter, wie sie sich jeder wünscht.

Warnung vor selbstgestellten falschen Diagnosen

Ich saß mit ihr in einer Talkshowrunde, in der es um den Suizid von Gunther Sachs ging. Ein angeblicher Freund von ihm hielt es für heroisch, das Leben zu beenden, bevor man gebrechlich wird. Ich widersprach. Höchstwahrscheinlich litt Gunther Sachs an Depressionen, was zu Gedächtnisstörungen führt. Lustlose Hirne speichern schlecht, aber diese "Pseudodemenz" verschwindet mit der richtigen Behandlung.

Sachs' Ende ist keine Heldengeschichte, sondern eine Warnung, sich selbst falsche Diagnosen zu stellen und keine Hilfe zu suchen, wenn man verzweifelt. Viel stärker als meine Worte wirkte jedoch die Präsenz von Renate Delfs, die mit 86 so viel Lebensfreude ausstrahlt, dass jeder dachte: Das will ich auch! Die dritte in meiner "Positivliste" ist meine Großmutter.

Ich kann Sie, liebe Leser, nur ermuntern, sich auch eine Liste von Vorbildern anzulegen. In Mehrgenerationenhäusern treffen Junge heute schon auf solche Alten. Da geht es nicht darum, was alles nicht mehr geht. Wie begrüßt man sich dort? "Ey, Alter, was geht?"

GesundLeben
Eckart von Hirschhausen

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