Drei Wochen nach dem Medikamententest, bei dem in London sechs Probanden lebensgefährlich erkrankten, haben britische Experten den beteiligten Pharmafirmen fehlerfreie Arbeit attestiert. Bei der Vorbereitung und Durchführung des Tests seien keine Fehler festgestellt worden, erklärte die staatliche britische Agentur für Medikamentenprüfung in einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht.
"Es gibt keine Alternative"
Die Expertenkommission hat bei dem englischen Medikamententest keine Unregelmäßigkeiten festgestellt. Was bedeutet das nun für die Studie und das Präparat?
Es ist ja zunächst ein Zwischenbericht. Aber wenn es bei diesen Ergebnissen bleibt, dann muss man sich überlegen, wie man künftig die Sicherheitsspanne noch mehr ausbauen kann bei Präparaten, die so aktiv ins Immunsystem eingreifen.
Wie sehen solche Vorkehrungen aus?
Schon in diesem Fall hatte man für die Tierversuche bewusst Affen gewählt, deren Immunsystem mit dem des Menschen vergleichbar ist. Nichts in den Tierversuchen wies auf die dramatischen Nebenwirkungen hin, die später beim Menschen auftraten. Zudem war die bei den Testpersonen verwendete Dosis erheblich niedriger als die bei den Tierversuchen: Aus der Wirkstoffmenge, die bei den Affen keine Reaktion ausgelöst hatte, wurde eine "maximal empfohlene Startdosis für Menschen" errechnet, die schon deutlich niedriger liegt als der Wert aus dem Tierversuch. Die Dosis, die schließlich zum Einsatz kam, betrug nur ein 160stel dieser empfohlenen Maximaldosis.
Obwohl also alle Sicherheitsvorkehrungen eingehalten wurden, kam es zur Katastrophe. Das lässt Zweifel daran aufkommen, dass Tierversuche wirklich aussagekräftig sind.
Man darf jetzt auf keinen Fall sagen: "Tierversuche taugen nichts". Was in England vorgefallen ist, ist ein schrecklicher Einzelfall, aber nichtsdestoweniger nur ein Einzelfall in der langen Geschichte der klinischen Studien. So lange klinische Studien ohne Zwischenfälle ablaufen, wird die Öffentlichkeit nun einmal nicht auf sie aufmerksam. Davon abgesehen gibt es bei neuen Medikamenten keine Alternative zu Tierversuchen: Versuche mit Zellkulturen zu machen und daran direkt klinische Studien mit Menschen anzuschließen, wäre absolut unverantwortlich.
Welche Lehre sollte man aus dem Zwischenfall ziehen?
In Deutschland wird das Paul-Ehrlich-Institut klinische Studien mit möglicherweise sehr reaktiven monoklonalen Antikörpern nur noch genehmigen, wenn sie zunächst mit einer Person beginnen, nicht mit mehreren gleichzeitig. Alles weitere hängt davon ab, welche Ergebnisse die internationale Expertenkommission erarbeitet, die jetzt in Großbritannien eingesetzt wird.
Susanne Stöcker ist Sprecherin des Paul-Ehrlich-Instituts, das in Deutschland für die Genehmigung klinischer Prüfungen zuständig ist.
Interview: Angelika Unger
Komplikationen waren "unvorhersehbar"
Die lebensbedrohlichen Komplikationen bei den Männern, denen am 13. März der Wirkstoff TGN1412 der deutschen Pharmafirma TeGenero aus Würzburg verabreicht worden war, werden in dem Prüfbericht als "unvorhersehbare biologische Aktion der Arznei bei Menschen" bewertet. Der verabreichte Wirkstoff sei nicht kontaminiert gewesen und allen fachlichen Regeln gemäß produziert worden.
Auch der auf Medikamententests spezialisierten US-Firma Parexel seien bei der Versuchsreihe keine erkennbaren Fehler unterlaufen. Der Wirkstoff TGN1412, der eine neue Klasse von Medikamenten gegen rheumatische Arthritis, Leukämie und Multiple Sklerose ermöglichen soll, sei zuvor in weit höheren Dosen ohne besondere Probleme in Tierversuchen getestet worden. Bei den sechs menschlichen Probanden seien wesentlich niedrigere Dosierungen verwendet worden als zuvor bei den Versuchsaffen.
Anwältin kritisiert Prüfbericht
Das Ergebnis der Untersuchung wirft nach Einschätzung der Experten eine Reihe von Fragen für künftige Tierversuche und den Übergang zu darauf basierenden Tests mit Menschen auf. Zur Klärung berief die britische Gesundheitsministerin Patricia Hewitt eine weitere Expertengruppe, die in drei Monaten Bericht erstatten soll.
Die Anwältin Ann Alexander, die zwei der bei dem Versuch geschädigten Probanden vertritt, kritisierte den Prüfbericht als "völlig unzureichend" und forderte eine neue "unabhängige" Untersuchung.
"Elefantenmann" auf dem Weg der Besserung
Derweil befand sich auch der sechste Versuchspatient auf dem Wege der Besserung, berichtete die Zeitung "Daily Telegraph". Bei ihm hatte das Medikament unter anderem derart starke Körperschwellungen verursacht, dass ihn die Medien als "Elefantenmann" bezeichneten. Die fünf anderen Männer hatten das Krankenhaus bereits in den vergangenen Wochen verlassen können.
Das Würzburger Unternehmen äußerte sich erfreut über die Besserung des Gesundheitszustands auch bei dem sechsten Patienten und dankte den britischen Ärzten für ihre Arbeit. Man nehme zur Kenntnis, dass die unvorhersehbaren Komplikationen offensichtlich durch die getestete Substanz selbst ausgelöst worden sind. "Für unsere Firma, die sich zum Ziel gesetzt hatte, Medikamente zu entwickeln, die zahlreichen Patienten mit schwersten Erkrankungen helfen sollten, sind diese Vorkommnisse ein schwerer Rückschlag", betonte TeGenero.
Die geplante Einsetzung einer Expertenkommission, die in Zukunft die klinische Entwicklung der so genannten monoklonalen Antikörper betreuen und überwachen wird, bedeutet TeGenero zufolge für die gesamte Biotech- und Pharmaindustrie eine große Herausforderung, aber auch eine Chance, möglichst sichere Wege für die Entwicklung neuartiger Wirkstoffe zu finden.