Ein Corona-Medikament, das schwere Verläufe und Todesfälle verhindert, wäre neben den Impfstoffen ein weiteres wichtiges Werkzeug im Kampf gegen Covid-19. Wirkstoffe gegen das Coronavirus wurden schon häufiger gehypt, vor allem zu Beginn der Pandemie – vielfach erfüllten sie die Hoffnungen aber nicht. So erwies sich unter anderem das antivirale Medikament Hydroxychloroquin, das vom damaligen US-Präsidenten Donald empfohlen wurde, als Enttäuschung im Kampf gegen Covid-19. Die renommierte Cochraine-Collaboration kam nach einer Untersuchung der Datenlage zu dem Schluss: "Hydroxychloroquin reduziert nicht die Anzahl der Todesfälle durch Covid-19 und wahrscheinlich auch nicht die Anzahl von Personen, die künstlich beatmet werden müssen."
Vergangene Woche legte das US-Pharmaunternehmen Merck & Co. erste Studienergebnisse mit einem Mittel namens Molnupiravir vor und löste damit ein breites Medien-Echo aus. Die Daten wirken vielversprechend: Demnach halbiert das antivirale Mittel bei infizierten Patienten das Risiko einer Krankenhauseinlieferung oder eines tödlichen Krankheitsverlaufs. Das Unternehmen will nun nach eigenen Angaben "so bald wie möglich" eine Notfallzulassung in den USA beantragen. Auch in anderen Ländern sollen Anträge eingereicht werden.
Ist das der ersehnte "Gamechanger" bei Medikamenten gegen Covid-19 – oder müssen zunächst weitere Daten abgewartet werden? Die wichtigsten Fragen und Antworten.
Was ist Molnupiravir und wie wirkt es?
Molnupiravir ist ein antivirales Mittel in Tablettenform, das ursprünglich als Grippe-Medikament entwickelt wurde. Es blockt die sogenannte Replikation, also die Vermehrung des Virus, in den Zellen. Das gelingt dem Mittel, indem es als falscher Baustein in das Erbgut des Erregers eingebaut wird und dort Mutationen verursacht, die eine Vermehrung verhindern.
Was hat es mit den aktuellen Studienergebnissen auf sich?
Die Daten stammen aus einer Zwischenanalyse einer Phase-3-Studie, in der das Mittel seine Wirksamkeit gegen ein Placebo unter Beweis stellen muss. Die vorläufige Analyse umfasst Daten von 775 Probandinnen und Probanden. Demnach reduzierte das Mittel das Risiko für Todesfälle und schwere Krankheitsverläufe, die in einem Krankenhaus behandelt werden mussten, um annähernd 50 Prozent.
An der Studie sollten insgesamt mehr als 1500 Probandinnen und Probanden beteiligt werden. Deren Rekrutierung sei jedoch auf Empfehlung einer unabhängigen Gutachterkommission vorzeitig beendet worden, da die Ergebnisse die Erwartungen im positiven Sinne übertrafen, heißt es in einer Pressemitteilung. Das ist ein üblicher Schritt, schließlich darf der Placebo-Gruppe aus ethischen Gründen eine möglicherweise lebensrettende Therapie nicht vorenthalten werden.
Eingeschlossen in die Studie waren Risikopatienten mit einer bestätigten, weniger als fünf Tage alten Corona-Erkrankung, die zunächst mild bis moderat verlief.
Risikoreduktion von rund 50 Prozent – was bedeutet das genau?
In der Placebo-Gruppe lag die Hospitalisierungs- und Sterberate nach 29 Tagen bei 14,1 Prozent (53 von 377). In der Gruppe, die mit Molnupiravir behandelt wurde, waren es dagegen 7,3 Prozent (28 von 385 Patienten). Das entspricht in etwa einer Risikohalbierung.
Während der vierwöchigen Beobachtungsphase starben acht Patientinnen und Patienten, die der Placebo-Gruppe angehörten. Unter der Molnupiravir-Therapie trat hingegen kein Todesfall auf.
Wie beurteilen Experten die Daten?
Professor Stefan Kluge, Direktor der Klinik für Intensivmedizin am UKE Hamburg, sprach von einer "sehr vielversprechenden Therapieoption", sollten sich die Daten bestätigen. Molnupiravir käme seiner Einschätzung nach für Risikopatienten im ambulanten Bereich und in der Frühphase der Erkrankung infrage. "Ein großer Vorteil des Medikaments ist die orale Verabreichungsform als Tablette", so Kluge. Ein "Gamechanger" sei das Mittel aber nicht und der Wirkstoff werde die Impfungen "selbstverständlich auch nicht überflüssig machen".
Der Chefarzt der Infektiologie an der Münchener Klinik Schwabing, Professor Clemens Wendtner, sprach angesichts der Daten von einem "Lichtblick", warnte aber vor verfrühten Hoffnungen. "Es empfiehlt sich immer in der Wissenschaft, den Tag nicht vor dem Abend zu loben", so Wendtner. Zunächst müssten die Ergebnisse der Gesamtstudie und deren Veröffentlichung sowie Prüfung abgewartet werden.
Laut Wendtner könnte das Mittel – sollte es zu einer Zulassung kommen – in Ländern eingesetzt werden, in denen Corona-Impfstoffe nicht überall verfügbar seien. Der Hersteller kündigte bereits im April an, Verträge mit indischen Herstellern von Generika zu verhandeln, um bei einer Zulassung auch in großem Umfang für Länder mit geringem Einkommen produzieren zu können.
Auch Risikopatienten mit Impfdurchbrüchen könnten von dem Mittel profitieren, so Wendtner. Keinesfalls sollte das Mittel aber als Argument dienen, sich nicht impfen zu lassen. Trotz der Behandlung mit Molnupiravir sei umgerechnet einer von 14 Patienten schwer erkrankt. Der Schutz durch Impfstoffe vor schweren Verläufen mit stationärer Einweisung sei wesentlich besser.
Was ist über Nebenwirkungen bekannt?
Über mögliche Nebenwirkungen ist wenig bekannt. Laut erster Daten liegt die Nebenwirkungsrate allerdings nicht höher als in der Placebo-Gruppe. Die Zahl der gemeldeten Nebenwirkungen, die zum Therapieabbruch führten, sei in der Molnupiravir-Gruppe sogar niedriger als in der Placebo-Gruppe gewesen, so Wendtner – man könne deshalb annehmen, dass diese Nebenwirkungen "in den allermeisten Fällen in keinem Zusammenhang mit der Therapie standen."
Die Zahl der Patienten, die behandelt wurden, ist mit knapp 400 allerdings noch recht überschaubar. Seltene Nebenwirkungen fallen mitunter erst in größer angelegten Studien auf.
Wie viel kostet das potenzielle Medikament?
Nach Angaben der "New York Times" soll sich die US-Regierung bereits 1,7 Millionen Behandlungseinheiten des Mittels gesichert haben – zu einem Preis von 700 Dollar, umgerechnet rund 600 Euro, je Patient. Das entspräche etwa einem Drittel der Kosten, die für monoklonale Antikörper fällig werden.

Monoklonale Antikörper sind eine Therapieoption gegen Covid-19 und binden an das Spike-Protein auf der Oberfläche des Coronavirus. Die Antikörper gelten als sehr kostspielig und müssen aufwändig intravenös verabreicht werden, zeigten zuletzt aber eine gut 70-prozentige Risikoreduktion vor schweren Verläufen und Todesfällen bei Hochrisikopatienten.
Ein Schnäppchen ist Molnupiravir damit aber nicht. Zum Vergleich: Zwei Dosen von gängigen Impfstoffen, etwa Moderna oder Biontech, kosten zwischen 63 und 35 Euro.
Der Einsatz eines weiteren antiviralen Mittels, Remdesivir, wird derzeit noch für den ambulanten Gebrauch untersucht.
Was ist über die Wirksamkeit bei Corona-Varianten bekannt?
"Zu betonen ist, dass Molnupiravir überwiegend bei Patienten zum Einsatz kam, die mit den neuen besorgniserregenden Virusvarianten infiziert waren", betonte Chefarzt Wendtner. Dies mache die Ergebnisse umso mehr für die Praxis relevant. Eine gute Wirksamkeit bei Infektionen mit den Varianten ist deshalb anzunehmen.
Was sind die nächsten Schritte?
Hersteller Merck & Co. strebt nun eine schnelle Notfallzulassung bei der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA an. Eine solche Zulassung ist – wie aus dem Namen bereits hervorgeht – nur in Ausnahmefällen möglich und dient der Behandlung oder Vorbeugung von schweren oder lebensbedrohlichen Krankheiten, sofern keine vergleichbaren Behandlungsalternativen vorhanden sind. Auch Zulassungen bei weiteren internationalen Behörden sind geplant.
Quellen: Science Media Center / New York Times