Medizin Die Sucht-Gene

Von Erich Lederer
Je nach Gen-Ausstattung werden Koffein und Nikotin im Körper unterschiedlich schnell abgebaut. Gene bestimmen auch darüber, ob es jemandem schwer oder leicht fällt, von der Sucht loszukommen.

Die beiden Inhaltsstoffe stehen für zwei Laster, denen weltweit am meisten Menschen verfallen sind. Haben sie erst einmal davon gekostet, fällt es ihnen nur schwer, wieder davon zu lassen. Denn jedes Mal, wenn eines der beiden Gifte im Gehirn seine Wirkung entfaltet, wird Dopamin ausgeschüttet. Es regt den Kreislauf an und sorgt für Wohlgefühl. Koffein und Nikotin stehen für den Kaffeegenuss und das Rauchen.

Doch sowohl Kaffee als auch Tabak erhöhen das Risiko für schwere Krankheiten. Raucher sterben nicht selten an Lungenkrebs, während viele Tassen Kaffee am Tag das Risiko eines Herzinfarkts erhöhen. Doch nicht bei jedem ist das Risiko gleich. Forscher haben herausgefunden, dass zwei verschiedene Enzyme eine Rolle dabei spielen, wie Nikotin und Koffein im Körper abgebaut werden. Je nachdem, mit welcher Genvariante dieser Enzyme man ausgestattet ist, geschieht dies unterschiedlich schnell. Und auch die Gene beeinflussen, wie suchtanfällig man überhaupt für Koffein und Nikotin ist.

Mehr Koffein, mehr Herzinfarkte

Kürzlich zeigte das Team um den Ernährungswissenschaftler Ahmed El-Sohemy aus Toronto an über 4000 Probanden, dass der Genuss von vier und mehr Tassen Kaffee das Herzinfarktrisiko um das Zwei- bis Vierfache steigert. Jedoch nur dann, so die Forscher im amerikanischen Fachmagazin "JAMA", wenn sie zu einer Gruppe gehören, die das Koffein im Körper langsam abbaut. Bei ihnen sieht das entsprechende Enzym der so genannten Cytochrom P450-Gruppe (Cyp1A2), das die Entgiftung steuert, anders aus als bei anderen. Cyp1A2-Träger, die das Koffein schnell abbauen, haben sogar ein vermindertes Infarktrisiko gegenüber Personen, die gar keinen Kaffee trinken.

Gene für Hirnrezeptoren bestimmen Rauchgewohnheiten

Ganz ähnlich sieht die Situation bei Rauchern aus. Mehr als ein Dutzend Untersuchungen an Zwillingen zeigt, dass das Erbmaterial etwa zur Hälfte mitbestimmt, ob man mit dem Rauchen anfängt und dieses Laster beibehält. Schon innerhalb der ersten Minute nach dem Zug am Glimmstängel erreicht der Hauptwirkstoff Nikotin sein Ziel im Gehirn und regt die entsprechenden Nervenzentren an. Nur wenn diese Aktivierung ganz regelmäßig geschieht, schüttet das "Belohnungszentrum" auch die entsprechenden "Wohlfühlhormone" aus. Deswegen trachtet der Gewohnheitsraucher auch danach, den Nikotinspiegel im Blut möglichst immer gleich hoch zu halten. Sinkt er ab, steigt das Verlangen zur nächsten Zigarette und damit zum Ausgleich. Auf den Oberflächen der Nervenzellen befinden sich Andockstellen für Nikotin, Serotonin und Dopamin. Diese Rezeptoren arbeiten je nach genetischer Ausstattung mehr oder weniger effektiv und bestimmen damit die Rauchgewohnheiten mit.

Die Arzneimittelforscherin Rachel Tyndale, die ebenfalls an der Universität Toronto arbeitet, hat sich intensiv mit Cyp2A6 beschäftigt, einem weiteren Mitglied der Cytochrom-P450-Familie. Mehr als 20 verschiedene Varianten dieses Proteins bestimmen darüber, ob unser Körper Nikotin schnell oder langsam abbaut.

Langsame Nikotinabbauer kommen leichter von der Sucht los

In einer Studie untersuchte sie 394 langjährige Raucher westlicher Herkunft, die im Durchschnitt länger als 30 Jahre abhängig waren. Sie alle versuchten, durch eine Nikotinersatztherapie mit Nikotinpflaster oder Nasenspray von ihrer Sucht loszukommen. "Das Ziel ist dabei, das Nikotin des Rauchens auf sichere Weise ohne die Gifte und Krebserreger des Tabakqualms zu ersetzen", erklärt Tyndale. "Das lindert die Entzugssymptome nach dem Aufhören". Wie die Forscherin in einer kürzlich erschienen Ausgabe der Fachzeitschrift "Molecular Psychiatry" schreibt, tun sich dabei diejenigen Raucher leichter, die genetisch bedingt das Nikotin nur langsam abbauen.

Für sie ist die erste Zigarette nach dem Aufwachen weit weniger wichtig (32 Prozent in den ersten fünf Minuten) als bei Rauchern mit normaler Nikotinentgiftung (49 Prozent). Der Grund: Arbeitet das Enzym nur sehr langsam, liegen ihre Nikotinspiegel im Blut am Morgen nach der letzten Zigarette deutlich höher als bei der Kontrollgruppe. Patienten, die dem Rauchen mittels Nasenspray abschwören wollten, genügten weit weniger Spraystöße, um ihr Verlangen nach Ausgleich des abgesunkenen Nikotinspiegels zu befriedigen.

Cyp2A6-Träger haben höhere Erfolgsquote beim Aufhören

Die Ergebnisse bestätigen frühere Untersuchungen: Varianten mit eingeschränkter Cyp2A6-Funktion finden sich in der westlichen Bevölkerung zwar nur bei einer Minderheit von etwa 10-15 Prozent, jedoch weitaus häufiger bei Nichtrauchern als bei Rauchern. Die Erfolgsquote beim Aufhören liegt bei diesen genetisch Begünstigten höher: Wenn ihr Nikotinspiegel nur langsam fällt, steigt die Chance, Nichtraucher zu werden, fast um das Doppelte.

In Asien sind die Chancen, vorteilhafte Gene zu haben, noch höher als in Europa. So baut jeder dritte Japaner das Nikotin langsamer ab als der Rest der Bevölkerung. Und auch dort zeigten Untersuchungen, dass der Zigarettenverbrauch von Langsam-Abbauern geringer ist als bei denen mit schneller Nikotinumwandlung.

Zigarettenkonsum könnte durch Enzymblockade gesenkt werden

Sowohl für Anbieter von Therapien zur Raucherentwöhnung als auch für die Tabakindustrie sind die Ergebnisse bedeutend. "So bietet es sich an, den Effekt von Cyp2A6 zu imitieren und so neue Wege bei der Raucherentwöhnung zu gehen" meint Rachel Tyndale. Für Raucher ließe sich der Zigarettenkonsum stark einschränken, könnte man die Aktivität des Enzyms unterdrücken. Dafür haben die Forscher sogar schon einen Wirkstoff ins Auge gefasst, der Hautärzten gut bekannt ist: Das Schuppenflechte-Medikament Methoxsalen. Erste Befunde zeigen, dass die Behandelten weniger oft nach einer Zigarette verlangten und weniger Züge nahmen.

Das Erbgut redet ein gehöriges Wort mit, ob man von einer Nikotin- oder Koffeinsucht loskommt oder vielleicht sogar daran stirbt. Möglicherweise steht auch schon in naher Zukunft der Gentest vor einer individuell angepassten Therapie des Arztes.

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