Herr Pfleiderer, wie gefährlich ist das Schweinegrippe-Virus?
Das kann man im Moment nicht eindeutig sagen, da wir widersprüchliche Mitteilungen haben. Zum einen gibt es die Todesfälle in Mexiko, die wir im Moment noch nicht eindeutig dem Virus zuordnen können. Zum anderen sehen wir, dass die Infektionen, die zum Beispiel in den USA aufgetreten sind, relativ mild verlaufen. Daher spricht vieles dafür, dass sich das Virus der Schweinegrippe abschwächt, wenn es eine Infektkette von Mensch zu Mensch aufbaut. Oder wir haben es in Mexiko mit zwei verschiedenen Ursachen zu tun. Letztendlich stellt sich die Bedrohungslage bis jetzt aber doch nicht so schlimm dar, wie zu Beginn angenommen. Das neue Virus ist in seiner Virulenz nicht schlimmer als die bereits zirkulierenden humanen Influenzaviren. Im Moment kann man daher nicht von einem massiven gesundheitlichen Großschadensfall sprechen.
Wie wahrscheinlich ist der Ausbruch einer Pandemie?
Das kann zurzeit niemand beurteilen. Die Ausbreitung erfolgt allerdings bis jetzt relativ langsam. Es ist aber noch zu früh, um hier endgültige Aussagen zu machen. Vielleicht braucht dieses Virus noch Zeit, um sich anzupassen. Vielleicht verschwindet es aber auch wieder. Alle Optionen sind zurzeit noch offen.
Es gibt nun auch die ersten bestätigten Fälle in Europa. Ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis das Virus auch in Deutschland angekommen ist?
Wir sollten damit rechnen, dass das Virus auch in Deutschland auftaucht - zu jeder Zeit, zu jeder Stunde. Das ist sehr wahrscheinlich.
Einen Impfstoff gibt es noch nicht. Wie schnell könnte ein solcher gefunden und hergestellt werden?
Wir haben kein Problem, geeignete Impfstoffe herzustellen. Man kann einen Impfstoff auf der Basis des Schweingrippe-Virus ähnlich wie die saisonalen Grippeimpfstoffe produzieren. Das ist dasselbe, wie wenn man einen neuen Stamm in die jährliche saisonale Impfstoffproduktion einsetzt. Das haben wir geübt, als ein erneuter Ausbruch der Vogelgrippe noch als wahrscheinlichtes Szenario galt. Wir wissen also genau, wie solche Impfstoffe aufgebaut sein sollen, wie man sie herstellt und wie man sie anwendet. Das große Problem ist allerdings, die Herstellung von saisonal auf pandemisch umzustellen. Im Moment produzieren alle Hersteller weltweit den Impfstoff für den nächsten Winter 2009/2010. Irgendwann muss man nun entscheiden, was man macht: Fährt man die Produktion weiter, oder stellt man die Produktion auf den neuen H1N1-Stamm um. Die Datenlage reicht allerdings bis jetzt noch nicht aus, um eine solche Entscheidung zu treffen. Wir brauchen noch mehr Zeit, um sicherzugehen, dass sich das neue Virus wirklich durchsetzt. Sonst stellen sie die Produktion für ein Virus um, dass es dann doch nicht schafft und opfern damit den saisonalen Impfstoff, der ja auch noch gebraucht wird.
Wie lange würde es dauern, bis die Impfstoffe zur Verfügung stünden?
Bis zu drei Monate würde es dauern, bis die ersten Impfstoffdosen zur Verfügung stünden. Das haben wir aber auch gewusst und daher Vorsorge mit den antiviralen Medikamenten betrieben, um diese Lücke zu überbrücken. Daher haben die Länder Neuraminidase-Hemmer eingekauft.
Zu den Neuraminidase-Hemmern zählen Tamiflu und Relenza. Sind davon genug Dosen vorhanden?
Das ist relativ. Wenn die pandemische Welle massiv ist, wird es nicht ausreichen. Aber wir haben uns an den vergangenen Pandemien orientiert und geschaut, wie viele Menschen infiziert wurden. Für eine gewisse Zeit reicht das dann sicher auch. Wobei diese Arzneimittel nur zur Therapie eingesetzt werden, nicht prophylaktisch. Alles andere wäre nicht finanzierbar.
Gibt es eine Erklärung, warum der Erreger vor allem junge, gesunde Erwachsene trifft und nicht wie bei anderen Epidemien überwiegend Kleinkinder und ältere Menschen, deren Immunsystem eigentlich schwächer ist?
Da kann man nur vorsichtig mutmaßen. Es könnte mit der noch vorhandenen Restimmunität zusammenhängen. H1N1 ist kein unbekannter Subtyp des Influenza-A-Virus. Er zirkuliert seit vielen Jahren im Menschen und ist regelmäßiger Bestandteil der Impfstoffe, die wir verwenden. Es könnte also sein, dass bei älteren Menschen und Kindern eine qualitativ und quantitativ ausreichende Restimmunität besteht. Über den jahrelangen Kontakt zu dem Antigen durch die Impfung oder über natürliche Infektionen kann eine solche Grundimmunität erworben werden. Ähnliches haben wir auch bei H5N1 beobachtet, bei dem ältere Menschen ebenfalls besser auf einen Impfstoff reagiert haben. Ob es tatsächlich mit der Restimmunität zusammenhängt, wird allerdings gerade untersucht.
Gibt es bestimmte zeitliche Abstände, in denen man mit Pandemien rechnen muss?
Wenn man ins vergangene Jahrhundert schaut, könnte man sagen, dass ungefähr alle dreißig Jahre eine Pandemie ausbricht. Das muss aber nicht sein. Die Natur braucht offenbar sehr viel Zeit und muss viel ausprobieren, um zu einem neuen Influenza-Virus zu kommen, das dem Menschen gefährlich werden kann.
Im Moment gibt es vom Auswärtigen Amt noch keine Reisewarnung für Mexiko. Ist das nachzuvollziehen?
Ich denke schon. Die wenigsten Länder weltweit haben bis jetzt Reisewarnungen herausgegeben. Auch beim Auswärtigen Amt beobachtet man noch. Sollte eine pandemische Situation eintreten, werden Auswärtiges Amt und Robert-Koch-Institut sicher überlegen, ob man eine Reisewarnung ausspricht.
Wie kann ich mich vor dem Virus schützen?
Große Menschenansammlungen sollte man vermeiden. Einen Mundschutz zu tragen, ist eine Möglichkeit, allerdings können die Schleimhäute darüber nicht hundertprozentig geschützt werden. Insgesamt ist es über Hygienemaßnahmen wie Händewaschen ohnehin nur möglich, das Risiko zu minimieren.
Ist mit der Schweinegrippe eine neue globale Seuche am Horizont aufgetaucht?
Die WHO spricht davon, dass ein gewisses pandemisches Potential besteht. Das kann man so unterschreiben. Ob es sich zu einer massenweisen Seuche ausbreitet, ist zurzeit noch nicht zu sagen. Wir befinden uns noch in einer frühen Entwicklungsphase dieser möglichen Pandemie. Bevor wirklich eine Entwarnung gegeben werden kann, können daher Monate vergehen.