Sprechstunde Lassen Sie doch mal die Viren frieren

Wollen Sie sich mal so richtig danebenbenehmen? Dann tun Sie das beim nächsten Schnupfen und rotzen auf den Boden. Das ist nicht nur ungehörig, sondern auch gesund, sagt Dr. med. Eckart von Hirschhausen.

Schnupfen ist die direkte Folge von kalten Füßen, darin sind sich alle Großmütter der Welt einig: "Kind, zieh dir was an die Füße, du holst dir den Tod." Als ich im Medizinstudium etwas über Viren lernte, fragte ich mich insgeheim immer: Wie, bitte, kommen diese kleinen Biester durch die kalten Füße bis in die Nase?

Kalte Füße und Erkältung

Heute weiß ich, kalte Füße sind nicht Ursache, sondern Folge der Ansteckung. Denn sobald die Viren den Körper befallen, kämpft der Kreislauf gegen sie an, die Füße werden schlechter durchblutet, sie werden kalt, gerade weil wir schon auf dem Weg sind, krank zu werden. Den historischen Beweis lieferten zwei Gruppen von Studenten. Die eine musste nasse Socken tragen, die andere nicht. Alle bekamen die gleiche Menge Erkältungsviren ins Gesicht gesprüht, und wer steckte sich eher an? Beide Gruppen gleich. Die experimentell gekühlten Füße machten also keinen Unterschied. Millionen Großmütter können irren.

Unser Umgang mit Schnupfen ist ohnehin komplett irrational. Heute Abend sind wir krank - und sauer auf denjenigen, der uns heute Morgen in der U-Bahn angeniest hat. Hätte der nicht wirklich zu Hause bleiben können! Viren brauchen ein bisschen, bis sie uns spürbar krank machen, meistens zwei bis drei Tage. Und die wenigsten Erkältungen bekommen wir durch die Luft, viel öfter stecken wir uns über die eigenen Hände an. Aber woher soll ich wissen, welche Schniefnase den Haltegriff meiner U-Bahn vor drei Tagen angefasst hat? Dann verdamme ich doch lieber den von heute früh, den kenn ich wenigstens. Hätte sich doch zumindest die Hand vor die Nase halten können!

Gut für die Viren

Das lernt jedes Kind: Die Hand vorzuhalten ist das Beste, was man tun kann. Das stimmt auch - aus Sicht der Viren. Denn die sind von Geburt an reiselustig und überleben nur so lange, wie sie immer wieder jemanden neu infizieren können. Ist der Schnodder erst aus der Nase an die Hand gekommen, landet er auch in Windeseile überall dort, wo andere Menschen hinfassen.

Noch vornehmere Leute haben ja Stofftaschentücher. So wenig ich von Freuds Theorien halte, in dem Punkt der analen Fixierung hatte er einfach Recht. Dieser Blick, mit dem ein erwachsener Mann nach minutenlangem Schnäuzen noch einmal wehmütig den Inhalt seines Stofftaschentuches begutachtet! Das ist identisch mit dem Stolz eines Dreijährigen beim Blick zurück in die Schüssel. Bei den Großen kommt allerdings noch die Einsicht dazu: Okay, wir Männer können keine Kinder kriegen, aber das hier habe ich ganz allein hinbekommen!

Schließlich wird das Stofftaschentuch gefaltet - damit anschließend beide Hände infektiös sind. Dann ab damit in die warme Hosentasche. Frischer Rotz im Taschentuch bei Körpertemperatur - das ist für die Viren so eine Art Club Méditerranée. Schöner könnten sie es nicht haben.

Auf den Boden niesen

Was wäre hygienischer? Auf den Boden zu schnäuzen. Die Viren finden da niemanden zum Anstecken, frieren und langweilen sich zu Tode. Ich mache das bereits. Ich niese ungehemmt auf den Boden, breche die Infektionskette und schütze die Gemeinschaft. Das Dumme daran: Die Gemeinschaft erkennt nicht meinen tiefen Altruismus, sondern hält mich für ein unerzogenes Schwein!

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Es braucht etwas Gewöhnung, aber ich habe diesen Traum, dass sich nicht heute, nicht morgen, aber schon bald zwei Menschen auf der Straße begegnen, einer rotzt auf die Erde und der andere stoppt, staunt und sagt: "Sie lesen auch die Hirschhausen-Kolumne." Dann liegen sich beide in den Armen, und stecken sich nicht an. Gesundheit!

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Dr. med. Eckart von Hirschhausen

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