Gleich mache ich mich unbeliebt. Achtung. Jetzt: Ich finde die Idee mit der Praxisgebühr gar nicht falsch. Punkt. Jetzt ist es raus. Steinigen Sie mich. Aber mal ganz ehrlich: Hätten Sie dieses Heft bis auf die letzte Seite gelesen, wenn es umsonst gewesen wäre? Na also, was nichts kostet, ist auch nichts wert. Also ist die Praxisgebühr im Kern richtig. In der Umsetzung hat sie natürlich viele "handwerkliche Fehler". Die Schlagzeile "Auch Tote zahlen Praxisgebühr" sorgte zu Recht für Unmut. Ulla Schmidt ließ auch keine drei Wochen später klarstellen: Tote zahlen nur im ersten Quartal, und wenn es chronisch wird, dann nicht mehr als zwei Prozent ihrer Lebensversicherung.
Keiner interessiert sich mehr für Ihren Körper
Seit ich vor über zehn Jahren von der Klinik zum Kabarett umstieg, habe ich sehr gute Erfahrungen damit gemacht, Eintritt zu nehmen. Die Klientel sortiert sich, und die Erfahrung ist durchaus übertragbar: Auch Arztpraxen sind Teil der Unterhaltungsindustrie. Warum gehen Leute zum Arzt? Damit sie herausbekommen, was ihnen fehlt? Quatsch. Das wiss en sie doch schon. Es wäre doch viel erstaunlicher, wenn jemand, der Sie drei Minuten kennt, besser über Sie Bescheid wüsste als Sie selbst. Deshalb erwartet das ja eigentlich auch keiner vom Arzt. Viele sind einsam, alt, und keiner interessiert sich mehr für ihren Körper, außer eben der Arzt.
Wir haben schon als Kinder gelernt: Sobald du krank bist, kümmert sich jemand um dich. Und das fällt uns irgendwann wieder ein. Unser zutiefst menschliches Bedürfnis nach Nähe und Anerkennung wird mit einem kalten Stethoskop auf der Brust beantwortet, du suchst Zärtlichkeit, und wenn es hochkommt, gibt es Saugnäpfe und ein EKG. Das ist herzlos und für beide Seiten unbefriedigend. Zudem sehr teuer. Viele gehen auch zum Arzt, damit wenigstens alle anderen Menschen im Wartezimmer wissen, was sie haben. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Und da gibt es viel zu teilen. Das Wartezimmer ist eine Art Selbsthilfegruppe, der inoffizielle Treffpunkt der AA, der Anonymen Ärztehopper.
Weil der Zugang zu dieser Gruppe so einfach und kostenfrei für den Patienten war, sind die Deutschen Weltmeister geworden im Wartezimmern. Wir gehen 14-mal im Jahr zum Arzt, fünfmal so häufig wie die Schweden. Warum nur nutzt man dieses Potenzial nicht therapeutisch und kosteneffizient?
Mittwoch ist Arzttag
Mein Vorschlag: Lasst uns von anderen Teilen der Unterhaltungsindustrie lernen. So wie für Montag und Dienstag der Kinotag ausgerufen wurde, deklarieren wir den Mittwoch kollektiv zum Arzttag. Mittwochnachmittag. Da ist die Praxis doch eh zu. Es kostet kaum etwas, das Wartezimmer offen zu lassen. Dafür halber Eintritt. Statt zehn Euro nur fünf und als Kennenlernangebot ist anfangs noch ein Getränkegutschein mit dabei. Die Patienten dürfen Röntgenbilder mitbringen, tauschen sich über Leidenswege, Fehlbehandlungen und Masseure mit kalten Händen aus. Alles, was man wirklich wissen will.
Die einschlägig Überwiesenen bekommen einen Termin für 15 Uhr, halten ihre therapeutische Sitzung, und um 18 Uhr schauen alle rollenden Auges auf die Uhr. Und einer spricht es aus: "Jetzt haben wir drei Stunden gewartet, das lassen wir uns nicht gefallen, wir gehen." Und mit dieser Gemeinschaft stiftenden Empörung zieht jeder erleichtert seines Wegs. Menschen tun anderen Menschen gut. Das muss gar nicht immer über "die Kasse" laufen.
Internet
Programm und Auftrittstermine: www.hirschhausen.com
So ist ja nach wie vor eine der effektivsten Behandlungen der Alkoholkrankheit der Austausch mit anderen ehemaligen Alkoholikern. Nun gibt es nicht für alles Selbsthilfegruppen, aber ein Versuch ist es wert: Ich selbst habe, seit ich so viel unterwegs bin, auch Schwierigkeiten, Menschen zu vertrauen. Sind alle so nett zu mir. Aber wer weiß, was die hinter meinem Rücken so reden. Ich hab jetzt im Internet gefunden: Anonyme Paranoiker. Ich habe gleich angerufen, ob ich mal kommen könnte. "Ja, gerne", sagte der Mann am Telefon, "aber wir sagen dir nicht, wo wir uns treffen." Gesundheit!