"Kleine Dinge wie diese" mit Cillian Murphy Der beste Film, der es nie ins Kino schaffte?

Oscarpreisträger Cillian Murphy in "Kleine Dinge wie diese".
Oscarpreisträger Cillian Murphy in "Kleine Dinge wie diese".
© Plaion Pictures
2024 feierte "Kleine Dinge wie diese" seine Premiere auf der Berlinale. Ins hiesige Kino schaffte es das Drama mit Cillian Murphy aber nie.

Der Eröffnungsfilm der Berlinale 2024, ausgezeichnet mit dem Silbernen Bären (Beste Nebenrolle für Emily Watson, 58) und mit Oscarpreisträger Cillian Murphy (49) in der Hauptrolle. Trotz dieser Prädikate schaffte es der Film von Tim Mielants (45), der auf dem gleichnamigen Roman von Claire Keegan basiert, nie in ein deutsches Kino - und das ist ein Jammer. "Kleine Dinge wie diese" ist der Appell für mehr Zivilcourage und gegen die "Das geht mich nichts an"-Mentalität, der dieser Tage relevanter denn je geworden ist.

Jeder kann einen Unterschied machen - darum geht es

Es ist das Jahr 1985, Weihnachten steht vor der Tür: Der schweigsame Bill Furlong (Murphy) ist ein einfacher Kohlelieferant und lebt mit seiner Frau und den fünf gemeinsamen Töchtern in der Kleinstadt New Ross im irischen County Wexford. Trotz finanziell angespannter Lage ist Bill fair zu seinen Arbeitern und auch einem Jungen, den er auf der Straße trifft, steckt er ein paar Groschen zu. Kurzum: Bill ist zu gutmütig für diese harsche Welt, die ihn eigentlich zum Egoismus zwingen müsste. Das hält ihm selbst seine Frau vor.

Eines Tages sieht Bill bei einer Kohle-Auslieferung, wie eine junge Frau unter Protest und Flehen in ein sogenanntes Magdalenenheim zwangseingewiesen wird. Was von der katholischen Leitung als Auffangort "für gefallene Mädchen" verkauft wird, ist in Wirklichkeit eine Korrektur- beziehungsweise Besserungsanstalt, in der die zumeist unehelichen jungen Mütter unter grauenvollen Bedingungen hausen und in Wäschereien arbeiten müssen. Bill weiß das. Die ganze Stadt weiß das. Doch erst der Anblick der verzweifelten Sarah (Zara Devlin) dient für Bill als Initialzündung, sich mit seiner eigenen Vergangenheit auseinanderzusetzen und zaghaft gegen das gegenwärtige Unrecht aufzubegehren.

Schaut nicht weg!

"Wenn du durch dieses Leben kommen willst, musst du manche Dinge ignorieren": Diesen Ratschlag bekommt Bill von seiner eigenen Frau mit auf den Weg. Schließlich müsse ihr viel zu empathischer Mann doch auch an die eigenen fünf Töchter und deren Zukunft denken. Doch wenn man sich dazu entscheidet, stets wegzusehen - wie kann man dann je erwarten, dass andere Menschen bei einem selbst hinsehen?

Durch Zufall findet der Release von "Kleine Dinge wie diese" am 25. September im Home Entertainment (physisch oder digital) genau zu einer Zeit statt, in der diese Botschaft aktueller denn je erscheint. In New Ross traut sich ob des weitreichenden Einflusses der Kirche niemand, den Mund aufzumachen. Zu groß wären die persönlichen Konsequenzen, als einziger Lohn winkt das Wissen, das Richtige getan zu haben.

Die Parallelen zu derzeitigen Geschehnissen wie etwa in den USA sind nicht zu übersehen: Macht wird missbraucht, um Gegner öffentlich anzuzählen oder komplett mundtot zu machen. Nur wer die Klappe hält oder sogar mitschwimmt, muss sich keine Sorgen vor Repressalien machen. Der Preis hierfür - das wird an der Figur Bill deutlich, wenn er sich kaum noch selbst im Spiegel ansehen kann - ist das eigene Gewissen.

Interessant ist diesbezüglich die Kameraführung. Zahlreiche Szenen in "Kleine Dinge wie diese" werden durch Fensterscheiben von Häusern oder Autos gefilmt und suggerieren das stumme, tatenlose Beobachten der Menschen.

"Schwäche" stark gespielt

Cillian Murphy wirkt mitunter selbst in der Realität wie die fleischgewordene Melancholie. Schon in Christopher Nolans "Oppenheimer" verweilte die Kamera lange und in Nahaufnahme auf dem ausdrucksstarken Gesicht des Schauspielers. In "Kleine Dinge wie diese" kommt das sogar noch mehr zur Geltung, etwa, wenn zuvor in einer Rückblende die tragische Kindheit seines Charakters gezeigt wurde. Immer wieder lässt der Film über diese Flashbacks an Bills Erinnerungen teilhaben und offenbart so Stück für Stück, warum ihm gerade das Schicksal der jungen Sarah so nahegeht.

Murphys Figur ist förmlich die Antithese zu seiner Paraderolle in der Serie "Peaky Blinders". Wo er als Tommy Shelby aufrecht und mit natürlicher Autorität durch die Stadt schreitet, schleicht er als Bill Furlong selbst dann mit gekrümmtem Rücken durch die Gassen, wenn er gerade keinen zentnerschweren Kohlesack über die Schultern gewuchtet hat. Sein Blick ist stets gesenkt - bloß kein Aufsehen erregen, bloß keine Konfrontation provozieren. Es mag stimmen, vielleicht kommt man so am reibungslosesten durchs Leben. Die Frage ist nur: Was ist das dann für ein Leben?

Fazit

Dass es ein Film mit der Botschaft, die emotionalen Scheuklappen abzulegen, nicht ins Kino schafft, ist eigentlich schon traurige Aussage genug. "Kleine Dinge wie diese" ist ein ausgesprochen entschleunigter Film, der mit wenigen Worten aber stark gespielten Gesten die Gefühlswelt seines Protagonisten in den Mittelpunkt rückt. Was frustrierend oder gar zynisch hätte enden können, kehrt der Film in seinem Finale zu einer optimistischen Auflösung um. Denn für das eigene Seelenleben und das seiner Mitmenschen ist es sehr wohl notwendig, den Mund aufzumachen.

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