Alles dreht sich um einen Penis, aber es soll nicht nur um Sex gehen. So will es die Serie "Supersex", die auf dem Leben von Rocco Siffredi basiert, einem italienischen Pornostar mit weltberühmtem Glied. In Italien ist Siffredi lange schon ein Bestandteil der Entertainment-Branche. Er macht bei Reality-Shows mit, tritt als Gast in TV-Serien auf. In Werbespots trat er im Morgenmantel auf, umringt von Frauen, während er Chips knabbert: Kartoffel heißt auf Italienisch patata, und patata heißt auch Scheide.

Der heute 59-Jährige hat mehr als tausend Pornofilme gedreht und inszeniert und viele Branchenpreise dafür erhalten, 2003 etwa für die besten Gruppensexszene. Im Wikipedia-Artikel über ihn wird unter den persönlichen Daten die Größe seines Geschlechtsteils angegeben: 24 Zentimeter.
"Supersex", freigegeben ab 16 Jahren, erzählt in sieben Folgen Siffredis Leben: vom Kind zum Erwachsenen, vom Armen zum Reichen, von der Provinz in die Promiwelt. Verkörpert wird er von drei Schauspielern, als Kind, als Jugendlicher und als Erwachsener. Die letzte, zentrale Rolle spielt Alessandro Borghi, bekannt aus der Finanzkrimireihe "Devils" und der Mafia-Serie "Suburra". Und ja: Er ist komplett nackt zu sehen, ein Leben, das von der Größe eines Penis bestimmt wird, kann nicht erzählt werden, ohne die Größe zu zeigen.
"Supersex" sei zwar Fiktion, erklärte Rocco Siffredi kürzlich bei der Berlinale, wo die Serie ihre Premiere feierte, aber zu 98 Prozent ein Spiegelbild seines Lebens. Eine Frage nach seiner Familie beantwortet er mit tränenunterdrückter Stimme: Seine Karriere als Pornodarsteller habe er auf Kosten einer normalen Beziehung zu seiner Familie und einigen Frauen gemacht. Er habe im Leben erst gelernt, was Sex ist, dann, was Porno ist, und erst sehr viel später, was wahre Liebe bedeutet: "Ich bin stolz darauf, ein männliches Objekt für Frauen gewesen zu sein, und ich sage das nicht aus Eitelkeit, sondern erhobenen Hauptes. Aber ich habe einen hohen Preis dafür bezahlt."
Er masturbiert auf Kommando: zehn Sekunden bis zum Orgasmus
Rocco Siffredi, der damals noch Rocco Tano hieß, wuchs in den 1960er-Jahren in Ortona auf, einer kleinen mittelitalienischen Stadt an der Adria. Ein Kind in ärmlichen Verhältnissen: Sozialwohnung, Kriminalität vor der Haustür, kaum Geld und eine große Sehnsucht nach Revanche – gegenüber der ganzen Welt. Sein Vorbild war damals sein älterer Bruder Tommaso, der mit der Frau, die Rocco begehrte, die Heimat verließ und nach Paris ging. Neben dem Bruder hatte der junge Rocco nur eine weitere Stütze: einen pornografischen Comic mit dem Titel "Supersex".
Volljährig streift Rocco Tano die Enge der italienischen Provinz ab und folgt seinem Bruder nach Paris. Er bleibt aber stets seiner Mutter verbunden, der Mutter, die aus ihm gern einen Priester gemacht hätte. Deren Aufmerksamkeit er immer gesucht hatte. Die ihn am Telefon fragte, ob es kalt sei in Paris, ob er gegessen habe. Ein Wirtschaftsmigrant Anfang der 80er-Jahre.

Netflix
In einem Pariser Sexclub lernt Rocco seine Superkraft kennen und den Mann, der für ihn bis dahin überbordende Sexualität verkörpert hatte: Gabriel Pontello, Pornodarsteller und Protagonist seines Lieblingscomics. Pontello ermöglicht ihm das Entree in die Branche. Beim Sex im Pariser Club wird Rocco erwachsen. Am Tisch eines Restaurants masturbiert er auf Kommando, zehn Sekunden bis zum Orgasmus. Dabei gibt ihm Pontello seinen Künstlernamen: Rocco Siffredi, nach dem von Alain Delon gespielten Gangster Roch Siffredi im Film "Borsalino" (1970).
Mit seinem Künstlernamen will er nun seine Superkraft unter Kontrolle halten. Aber gelingt ihm das? Oft scheint es, als ob "The Italian Stallion", so sein englischer Spitzname, von seinem Geschlechtsteil gesteuert werde.
Oft kommt der Serien-Rocco gut weg
In einer emotionalen Szene der Serie wird Rocco, der in seinen Filmen oft Analsex praktizierte und der dort zu Sadismus neigte, von seiner damaligen Freundin beschuldigt, durch seine gewalttätigen Sexualpraktiken für die Fehlgeburt des gemeinsamen Kindes verantwortlich zu sein. Die Andeutung des Gewaltthemas ist einer der wenigen Momente, in denen Rocco Siffredi negativ gezeichnet wird. Die Frau schreit ihm in der Sequenz ins Gesicht: "Du hast mich kaputt gefickt!" Oft aber kommt der Serien-Rocco gut weg.
"Mit Supersex wollte ich toxische Männlichkeit zeigen", erläutert die Drehbuchautorin Francesca Manieri. Die 45-Jährige wolle auch von der Kraft der Sexualität erzählen, ihre Macht enthüllen, die Pornos unterdrücken. Feministische Kritik am Macho-Sex? Scheint leider nicht wirklich durch. Vielmehr blickt Manieri verständnisvoll auf ihren Protagonisten, in dem sie als Feministin und Lesbe überraschenderweise Gemeinsamkeiten erkennt.
"Wir erkennen beide die Bedeutung der Sexualität in unserem Leben, und zwar als etwas Revolutionäres: als Berührungspunkt zwischen Leben und Tod", sagt Manieri und beschreibt eine Szene: Rocco steht allein auf dem Friedhof vor dem Grab seiner Mutter, die Beerdigung ist gerade vorbei. Eine ältere Frau will ihn trösten. Er sagt nichts, ein paar Blicke, eine Umarmung, eine Handbewegung.
Dann öffnet er die Klappe seiner Hose, sie kniet nieder.