"You've come to a friendly place" - du bist an einen freundlichen Platz gelangt - so wird man auf der Startseite der Internet-Community "bookcrossing.com" begrüßt, eine Community, die sich selber eine "Gemeinschaft der Bücherliebenden" nennt. "Wir lieben Bücher so sehr, dass wir sie freilassen, um sie mit anderen zu teilen", heißt es dort, und: "Es ist viel schöner, Bücher auf ihrer Reise zu beobachten, als sie im Regal stehen zu haben."
Bücher auf Weltreise
Der deutsche Bookcrosser "sillesoeren" hat sich der so genannten "Lifetime Challenge" gestellt: der lebenslangen Herausforderung in jedem Land dieser Erde mindestens ein Buch "freizulassen". Täglich wartet er nun auf die Meldung, dass eines seiner Bücher gefunden wird: "Release caught" in Afghanistan.
Aus 118 Ländern hat "sillesoeren" bereits Einträge über von ihm auf die Reise geschickte Bücher. Darunter die USA, Japan, Peru und Jamaika. In seinem "Bookcrossing Journal" hält er die anderen User auf dem Laufenden: Hier werden die Einträge aus aller Welt veröffentlicht, und man kann nachsehen, aus welchen Ländern "sillesoeren" noch auf einen Eintrag wartet.
Die meisten User jedoch "crossen" weniger exotisch und lassen ihre Bücher einfach in der Öffentlichkeit liegen. Und die Idee findet immer mehr begeisterte Anhänger. Es gibt derzeit circa 570.000 registrierte Bookcrosser, davon fast 38.000 in Deutschland. Auch Büchereien, Hotels, Cafés, Jugendtreffs und andere Einrichtungen machen mit, indem sie sich als offizielle "Crossing Zones" registrieren lassen - Plätze, an denen ganz offiziell Bücher "freigelassen" werden.
Besser als der Altpapiercontainer
Natürlich wird nur ein kleiner Teil der Bücher, die von den Mitgliedern der Community auf die Reise geschickt werden, gefunden. Bisher sind es laut Website nur 20 bis 25 Prozent.
Bücher freizulassen sei ein "zwiespältiges Gefühl", findet Bookcrosserin "DA-Cameron". "Ich wünsche mir, dass das Buch gefunden und gemeldet wird, habe aber nicht viel Hoffnung, dass das tatsächlich passiert. Ich habe insgesamt 40 oder mehr Bücher in freier Wildbahn ausgesetzt. Nur ein Bruchteil von denen wurde auch wieder bei Bookcrossing gemeldet; das ist schon schade." Trotzdem, Bookcrossing sei eine tolle Möglichkeit, Bücher zu entdecken, auf die sie sonst wahrscheinlich nicht aufmerksam geworden wäre, erzählt "DA-Cameron". "Und Bücher, die ich nicht mag, haben so eine bessere Chance, als im Altpapiercontainer zu landen."
"Lesen und lesen lassen"
Bookcrosserin "Jarit" sieht das ähnlich: "Ich bin eine ausgewachsene Leseratte, verschlinge circa ein bis zwei Bücher pro Woche. Deshalb war es eine Entdeckung für mich, als ich über einen Fernsehbericht von Bookcrossing erfuhr." Sie nutze die Community auch als Diskussionsplattform, um mit anderen über ihre Lieblingsbücher zu sprechen. Das "Jagen" von Büchern reize sie nicht - ganz im Gegenteil zu Userin "Teff42", die den Nervenkitzel beim Jagen der Bücher liebt: "Ist es noch da? Wo ist es? Wer hat es freigelassen?"
Besonders begeistert ist "Teff42" von den Kontakten zu anderen Bibliophilen, die sie über die Community knüpfen kann. In verschiedenen Foren und Gruppen können sich die Bookcrosser austauschen. Es finden auch Treffen außerhalb des Internet statt. "Lesen und lesen lassen", so bringt sie die Idee von Bookcrossing auf den Punkt. Schlechte Erfahrungen habe sie dabei noch nicht gesammelt. Jedoch habe sie einmal ein Buch in einer U-Bahn freigelassen, dass dann als Fußball für andere Mitfahrende diente. "Aber es wurde geborgen und anschließend ehrenvoll im Altpapier beigesetzt."
Die ganze Welt als Bibliothek
Die Idee zu bookcrossing.com hatte Ron Hornbaker, ein 41-jähriger Bücherfreund aus Missouri in den USA. Hornbaker wurde inspiriert von der Internetseite www.wheresgeorge.com, auf der man Dollarnoten anhand ihrer Seriennoten verfolgen kann. Seit 2001 ist die Community im Netz. Mittlerweile findet sich das Wort "bookcrossing" sogar im Concise Oxford English Dictionary.
Bookcrossing, das bedeutet, ein Buch irgendwo in der Öffentlichkeit abzulegen, in der Hoffnung, dass ein anderer Bücherfreund es findet, liest und wieder "freilässt". "Unser Ziel ist ganz einfach", heißt es auf der Homepage, "wir möchten die ganze Welt zu einer Bibliothek machen".
Mitmachen ist nicht schwer: Zuerst muss man sich als Bookcrosser registrieren. Dann versieht man die Bücher, die man auf die Reise schicken will, mit einer für jedes Buch eigenen Kennziffer, der "Bookcrossing ID". Sobald man einen Eintrag über das Buch verfasst hat und den anderen Bookcrossern mitgeteilt hat, wo man das betreffende Buch lassen wird, kann es losgehen. Außerdem kann man auf bookcrossing.com gezielt nach Büchern suchen, oder sich auf einer Weltkarte ansehen, wo welche Bücher "freigelassen" oder "gefangen" wurden. Hat man einmal ein Buch auf die Reise geschickt, kann man anhand der Einträge der Finder nachvollziehen, wie weit das Buch wandert.
Idealismus vorausgesetzt
Die Teilnahme an der Bookcrossing Community ist kostenlos. Jedoch kann die reine Literaturbegeisterung nicht ohne Geld auskommen - es fallen Kosten für den Betreiber der Homepage an. Die Seite finanziert sich daher über Spenden und einen eigenen Online-Shop, in dem man Aufkleber, Lesezeichen, Schlüsselanhänger, Rucksäcke und Taschen und viele andere Dinge mit dem kleinen gelben Bookcrossing-Logo erstehen kann. Dort gibt es auch wasserfeste Verpackungen für Bücher, die man in regenreichen Gegenden freilassen will. Auch spezielle Aufkleber mit einem kurzen Erklärtext zu Bookcrossing, auf dem man die "Bookcrossing ID" eintragen kann, um ihn dann in das Buch zu kleben, kann man dort kaufen. Über einen Link ist bookcrossing.com mit einigen Online-Büchergeschäften verbunden. So erhalten die Betreiber einen kleinen Anteil des Gewinns von jedem Buch, das an einen Bookcrosser verkauft wird.
Bookcrossing ist also eine lohnende Erfahrung für alle Leseratten, die es übers Herz bringen, ihre Bücher auf die Reise zu schicken. Dazu müssen sie den idealistischen Glauben haben, dass die freigelassene Literatur andere Leser erreicht - auch wenn sie nie wieder von ihr hören.