Es ist erstaunlich: Man liest ein Buch über, nun ja, Scheiße - und glaubt schon nach den ersten Seiten, ernsthaft etwas lernen zu können. Gewiss, beim Titel "Dunkle Materie - Die Geschichte der Scheiße" vermutet man zunächst pubertären Fäkalhumor. Doch das neue Werk des Autors, Musikers und Journalisten Florian Werner gehört nicht in die Witze-Ecke von Buchhandlungen, denn: "Die menschliche Kultur gründet auf der Scheiße." Diese Klarstellung gibt Werner dem Leser gleich mit dem allerersten Satz auf den Weg. Und er meint es völlig ironiefrei.
Zugegeben, beim Lesen in der Straßenbahn mag man den Buchumschlag angesichts des Titels lieber etwas verdeckt halten. Was könnten die Sitznachbarn von einem denken! Florian Werner stellt aber zwei wichtige Dinge klar.
Als man Scheiße zu Geld machen konnte
Erstens: Wenn er nicht von Fäkalien, Exkrementen oder Ausscheidungen spreche, "sondern immer wieder ganz unverblümt von der Scheiße", geschehe dies in einem völlig unschuldigen und sauberen Sinne. Und zweitens: "Geschrieben stinkt Scheiße nicht", betont er mit Verweis auf ein Zitat des französischen Philosophen und Schriftstellers Roland Barthes.
Dass die Ekelgefühle, die man gemeinhin mit dem Kot von Menschen oder Tieren verbindet, Resultat einer recht jungen Prägung sind, macht der Autor am Beispiel der Kanalisation deutlich. Erst mit deren Einführung gegen Ende des 19. Jahrhunderts sei "Scheiße" mit "nutzlos" gleichgesetzt worden. Zuvor hätten "gewichtige volkswirtschaftliche Argumente" dazu geführt, Exkremente aufzufangen und als Dünger zu verwenden. Buchstäblich habe man auf diese Weise Scheiße zu Geld machen können.
Florian Werner - 1971 geboren, promovierter Literaturwissenschaftler - gibt in seinem 240 Seiten umfassenden Buch viele Beispiele wie diese. Sie kommen aus unterschiedlichsten Themenbereichen wie Religion, Politik, Erziehung, Sprache, Sexualität oder Kunst.
Je nach Kontext Kunst oder Protest
Neben Erkenntnissen aus der Kategorie "unnützes Wissen" (der europäische Durchschnittsstuhlgang von Fleischessern wiegt 100 bis 150 Gramm, der von Vegetariern 300 bis 400 Gramm) gewinnt der Leser vor allem diese Einsicht: Scheiße ist relativ, nämlich eine Frage des Kontextes. Konserviert in einer Dose geht Kot bisweilen als Kunst durch. Öffentliches Defäkieren - sprich: Kot ausscheiden - bringt einem eher Arrest ein, auch wenn diese Handlung noch so sehr Ausdruck politischen Protests ist.
Nein, übermäßig humoristisch ist "Die Geschichte der Scheiße" wirklich nicht. Doch umso mehr stellt sich die Frage, weshalb man sich ein solches Buch eigentlich kaufen sollte. Florian Werner macht den Versuch einer Antwort: "Scheiße, so scheint es, ist en vogue", schreibt er mit Blick auf ein neu erwachtes Interesse an dieser Materie in Film und Literatur. Wer wissen will, was das Faszinierende an der "Dunklen Materie" ist, sollte das gleichnamige Buch lesen.