Der nigerianische Schriftsteller Chinua Achebe, 53. Träger des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels, ist in den Augen der Jury eine der »kräftigsten und zugleich subtilsten Stimmen Afrikas in der Literatur des 20. Jahrhunderts«. Mit seinen in über 50 Sprachen übersetzten Werken versucht der Autor, ein realistisches Bild seiner afrikanischen Heimat zu vermitteln. Das von vielen weißen Schriftstellern in überheblicher Weise gezeichnete Bild der Schwarzen als kulturlose Wilde will er mit seinen Romanen, Erzählungen, Gedichten und Essays korrigieren, ohne zu verklären.
Achebe kritisiert Machtmissbrauch und Korruption in seiner Heimat und engagiert sich politisch. Dabei ist der 71 Jahre alte Schriftsteller ein Wanderer zwischen zwei Welten: Er studierte und lehrte in Nigeria, England und in den USA, wo er mittlerweile lebt. 1930 in Ostnigeria geboren, war der Sohn eines evangelischen Geistlichen 30 Jahre alt, als Nigeria 1960 von Großbritannien in die Unabhängigkeit entlassen wurde. Zwei Jahre zuvor hatte Achebe seinen ersten Roman »Things fall apart« (»Okonkwo oder Das Alte stürzt«) veröffentlicht, der zum Klassiker der afrikanischen Gegenwartsliteratur wurde. Darin und in seinen vier folgenden Romanen beschreibt Achebe die Folgen des britischen Kolonialismus für die afrikanische Gesellschaft.
Mythen, Fabeln und Sprichwörter
Der fünfte Roman Achebes mit dem Titel »Anthills of the Savannah« (Termitenhügel in der Savanne) erschien 1987. Der Autor schreibt in Englisch, seine Sprachauffassung lebt aber vom Rhythmus seiner Muttersprache Ibo, von überlieferten Mythen, Fabeln und Sprichwörtern. Neben seiner Lehrtätigkeit wirkte Achebe als Herausgeber mehrerer Literaturmagazine, Leiter eines Kinderbuchverlags und als Präsident des nigerianischen Schriftstellerverbandes. Seit einem schweren Autounfall im Jahr 1990 ist er querschnittgelähmt. Wegen der besseren ärztlichen Versorgung zog er nach Annandale-on-Hudson im Staat New York. Dort unterrichtet er am Bard College.
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels
Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wird seit 1950 alljährlich am Sonntag während der Frankfurter Buchmesse überreicht. Die Verleihungsfeier in der Paulskirche gilt als Höhepunkt der Buchmesse. Ausgezeichnet wird laut Statut eine Persönlichkeit, »die in hervorragendem Maße vornehmlich durch ihre Tätigkeit auf den Gebieten der Literatur, Wissenschaft und Kunst zur Verwirklichung des Friedensgedankens beigetragen hat«.
Der Preis ist seit diesem Jahr mit 15.000 Euro (bislang 25.000 Mark) dotiert und wird vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels gestiftet. Ein Stiftungsrat wählt die Preisträger. Seine elf Mitglieder - vier Verleger und Buchhändler sowie sieben weitere Persönlichkeiten - entscheiden mit einfacher Mehrheit.
Erster Preisträger war 1950 der nach Norwegen emigrierte deutsche Schriftsteller Max Tau, der für seine Verdienste um die Versöhnung der Völker und Rassen ausgezeichnet wurde. Es folgten unter anderen Albert Schweitzer, Theodor Heuss, Carl Friedrich von Weizsäcker, Ernst Bloch, Max Frisch, Astrid Lindgren, Yehudi Menuhin, Siegfried Lenz, Vaclav Havel, Mario Vargas Llosa, Fritz Stern, Assia Djebar und im vergangenen Jahr Jürgen Habermas. Gelegentlich gab es zwei Preisträger, die für dieselbe Sache geehrt wurden. Als Organisation anstelle einer Einzelperson wurde 1973 der Club of Rome ausgezeichnet.
Wahl der Jury mitunter umstritten
Die Wahl der Jury war mitunter umstritten. 1968 gab es Straßenschlachten bei der Verleihung des Preises an den Präsidenten von Senegal, Leopold Sedar Senghor. Seine Kritiker bestritten, dass er eine Auszeichnung als Friedenspolitiker verdient habe. Heftige Diskussionen gab es über die Ehrung des nicaraguanischen Priesterrebellen Ernesto Cardenal (1980) und der Orientalistin Annemarie Schimmel (1995).
Der Schriftsteller Martin Walser kritisierte bei der Entgegennahme des Preises 1998 die seiner Ansicht nach weit verbreitete Tendenz, Auschwitz als Moralkeule zu instrumentalisieren. Dies führte zu einer monatelangen heftigen Auseinandersetzung mit dem inzwischen verstorbenen Präsidenten des Zentralrats der Juden in Deutschland, Ignatz Bubis.