Das am Eingang des Berliner Techno-Clubs "Tresor" befestigte Schild sagt klar, wer hier willkommen ist, und wer nicht. "Liebe Gäste", heißt es da, "wir bitten um Verständnis, dass nur Personen über 18 Jahren Einlass bekommen". Und Helene Hegemann ist volljährig. Endlich. Nie wieder wird sie das 17-jährige Wunderkind sein, das den Kulturbetrieb in Verzückung versetzt. Hegemann ist jetzt erwachsen. Und darf jetzt auch in Clubs wie den "Tresor" gehen.
Jeder andere hätte diesen Anlass genutzt, um mit seinen Freunden tüchtig zu feiern. Nicht so Hegemann. Sie verbringt den Abend lieber mit etwa 1000, ihr zumeist völlig unbekannten Menschen auf dem "Book Release" für ihren Roman "Axolotl Roadkill". Wenn einen der Kulturbetrieb vereinnahmt hat, dann ersetzen eben wildfremde Medienvertreter Freunde und Familie.
Um die fehlende Nestwärme herzustellen, ist die ganze Veranstaltung aufgezogen wie ein Kindergeburtstag. Am Eingang gibt es Zuckerwatte, überall im Raum hängen bunte Luftballons, und es gibt lustige Hüpfbälle. Auch Geburtstagskuchen wird serviert.
Wie ein wildes Tier
Es ist wie ein Kindergeburtstag im Zoo. Das Geburtstagskind des Abends lümmelt sich hinter dem Gitter, wo sich sonst nur der DJ aufhält. Durch die Gitterstäbe kann man sie sehen, wie sie mit ein paar Freundinnen quatscht, währenddessen kreist eine selbstgedrehte Zigarettentüte. Hegemann stellt sich aus wie ein wildes Tier. Schon Frank Wedekind wählt in der "Büchse der Pandora" die Analogie des wilden Tiers, um die Lulu zu beschreiben. Jene Frau, der die Männerwelt reihenweise verfällt. Das passt: Denn ist nicht das gesamte deutsche Feuilleton in ähnlicher Weise vor Hegemann in die Knie gegangen?
Nur einmal verlässt das Tier seinen Käfig. Für eine kurze Leseviertelstunde. Zuvor hält jedoch Ullstein-Geschäftsführerin Siv Bublitz eine belehrende Einführung über das Urheberrecht. Sie spielt die ganze Debatte um die geklauten Passagen herunter. Dass der Verlag nun sämtliche Zitate in der vierten Auflage auflistet, geschehe freiwillig, man müsse das eigentlich gar nicht tun. Zum Schluss fordert sie, man möge doch endlich wieder über das Buch reden. Das alles erinnert stark an die strenge Mutter, die auf einem Kindergeburtstag ein hartes Regiment führt, damit die Feier nicht aus dem Ruder läuft ("Wer rumsaut fliegt raus", "Beim Topfschlagen nicht schummeln").
Die Autorin schweigt zur Plagiatsdebatte
Helene Hegemann verkniff sich jede Bemerkung zur Urheberrechtsdiskussion und las mit ihrer Freundin Laura ein paar Sätze aus dem Bestseller vor. Hier kam das Buch nach Wochen der feuilletonistischen Debatten endlich zu sich selbst: Von zwei Mädchen holprig und auf erfrischend unprofessionelle Weise vorgelesen, wirkt der Text nicht mehr als die literarische Sensation des Jahres. Sondern als literarischer Erguss eines 17-jährigen Mädchens. Eines talentierten Mädchens, ohne Frage. Aber eben doch einer Jungautorin, die (noch) nicht in der Lage ist, die Last der literarischen Tradition von Thomas Mann über Günter Grass bis zu Rainald Goetz weiterzutragen.
Vielleicht war die ganze Kindergeburtstags-Inszenierung nötig, um diese Dinge geradezurücken. Und vielleicht feiert Helene Hegemann ihren nächsten Geburtstag dann in anderem Rahmen: ohne Käfig, ohne wildfremde Medienarbeiter, ohne frustrierte Eingeladene, die vor der Tür stehen und keinen Einlass bekommen. Dafür mit geliebten Menschen.