Neue Staffel Funktioniert der Eskapismus von Emily in Paris noch?

Pressefoto einer Szene von Emily in Paris
Hat jetzt normale Probleme, aber gewohnt flamboyante Outfits: Emily
© 2024 Netflix, Inc.
Wie ein Scroll durch Instagram: Die vierte Staffel von "Emily in Paris" zeigt hübsche Bilder, aber wenig dahinter.

Nun ist Schluss mit der Liebe. Sie werde sich nun voll und ganz auf die Arbeit konzentrieren, schwört Emily ihrer besten Freundin Mindy nach einem weiteren Dating-Desaster. Schließlich war Emily Cooper, amerikanische Marketingexpertin, eigentlich nach Paris gekommen, um in einer Werbeagentur für Luxusprodukte zu arbeiten. Als Single in der Stadt der Liebe wurde es zwischenzeitlich etwas schwierig, im Job bei der Sache zu bleiben. Eine gescheiterte Ménage-à-trois, eine abgeblasene Hochzeit und einige gebrochene Herzen später hat Emily erst einmal genug von Romantik. Ganz amerikanisch heißt es: Back to work.

Willkommen in der vierten Staffel des Netflix-Hits "Emily in Paris". Hauptdarstellerin Lily Collins stolpert weiterhin in irren Outfits, die niemals alle in den Schrank von Emilys Mini-Apartment passen würden, durchs Pariser Arbeits- und Liebesleben. In den sexy Koch Gabriel (Lucas Bravo) ist sie immer noch verschossen, allerdings erwartet der inzwischen ein Baby mit Emilys "Frenemy" Camille (Camille Razat). Und Ex-Freund Alfie (Lucien Laviscount) will nicht mehr als Lückenbüßer herhalten. 

Was ein Problem ist, weil einer von Emilys Werbekunden sich einen Social-Media-Stunt mit den beiden als verliebtem Pärchen in der Hauptrolle wünscht. Chefin Sylvie (Philippine Leroy-Beaulieu) ist noch immer nicht begeistert davon, dass Emilys privater Wirrwarr sie beruflich ständig in heikle Situationen bringt: "Du inszenierst dein komplettes Privatleben für die Öffentlichkeit – und jetzt hat das auch noch Auswirkungen auf mein Business!"

Emily versucht in den neuen Folgen, wie gewohnt, sich charmant aus abstrusesten Situation herauszuwinden. Das ist das Prinzip der von "Sex and the City"-Schöpfer Darren Starr erdachten Serie: Emily ist eine Figur, der niemand lange böse sein kann. Ihr scheint die Energie niemals auszugehen. Und jede Herausforderung ist nichts mehr als eine "Challenge", die Emily mit Charme, Hartnäckigkeit und einer guten Idee zu bewältigen weiß. So waren auch die letzten Staffeln von "Emily in Paris" gestrickt: Die Heldin ist damit beschäftigt, Katastrophen abzuwenden, die sie selbst ausgelöst hat. Meist durch einen unbedachten Post in den sozialen Medien. Die Hürden, über die sie dabei springen muss, werden über die Staffel hinweg immer höher.

Dieser Eskapismus-Effekt kam zum Serienstart 2020 gut an, als ein fröhlicher, überkandidelter Corona-Trost. Der gut gelaunten Amerikanerin dabei zuzusehen, wie sie ein neues Leben in einem künstlich bunten und sauberen Paris beginnt, glich einem Ausflug in eine unterhaltsame Parallelwelt.

Nach drei Staffeln kann sich die Serie darauf nicht mehr ausruhen. Um das Publikum noch bei Laune zu halten, braucht es mehr als eine exaltierte Kostümparade vor malerischer Kulisse, auch wenn diese noch so beeindruckend ist.

Merde! Die Heldin in "Emily in Paris" spricht auch nach 30 Folgen nur rudimentär Französisch

In Staffel vier führt Emilys Glück sie sogar ins Tennisstadion von Roland Garros, in dem die French Open stattfinden. Das ist imposant und hübsch anzuschauen. Aber nach mehr als 30 Folgen haben sich die Witze über Emilys rudimentäres Französisch, das noch immer nicht über "merci" und "merde" hinausgeht, erschöpft. Wohl um die Geschichte aufzupeppen, hält deshalb die Realität Einzug in Paris. Die größte Zielgruppe der Serie, Menschen um die 30, dürfte die Themen aus dem eigenen Leben kennen. Es geht um Frust im Job: Emilys Kollege Lucien fühlt sich von der Instagram-Dampfwalze zu Recht überrollt und will kündigen. Um Wohnungsnot in der Großstadt: Die ungeplant schwangere Camille weigert sich, in einen Vorort zu ziehen. Und um Probleme mit den Schwiegereltern: ESC-Anwärterin Mindy hat einen neuen Freund, der sie zur repräsentativen Society-Lady ummodeln will. Durch die neuen Folgen zieht sich die Orientierungslosigkeit, die sich einstellt, wenn es im Millennial-Leben nicht so läuft, wie man sich das auf dem Vision-Board ausgemalt hat. Selbst die immer gut gelaunte Emily verliert die Nerven und landet nach einem Streit zur Abkühlung in Claude Monets Gartenteich.

All das wird natürlich in der Hochglanz-Variante durchlebt. Mindy und Emily besprechen ihre Probleme beim höchst schick und wie für einen Instagram-Post arrangierten Dinner. Aber die Message der vierten Staffel ist klar: Selbst die Emily-Gaga-Welt besteht nicht nur aus Sancerre-Brunches und viralen Instagram-Videos, sondern auch aus echten Problemen.

Pressefoto einer Szene Emily in Paris von Emily mit Gabriel
Stühle und Becher hoch: Emily (Lily Collins) und ihr On-off-Amour Gabriel (Lucas Bravo)
© 2024 Netflix, Inc.

Weil sie es ernst meinen, versuchen sich die Serienmacher sogar an einer #MeToo-Storyline. Sylvie, die toughe Agenturchefin, wird an eine Erfahrung mit Machtmissbrauch erinnert, als eine Investigativjournalistin mit ihr über den Chef eines großen Luxuskonzerns sprechen will. Viel mehr erfahren wir leider nicht. Wohl um die glitzernde Grundatmosphäre der Serie nicht zu stören, wird nicht ins Detail gegangen. Und die Andeutungen lösen sich genauso gefällig auf, wie sie gekommen sind.

Genau das ist das Problem von "Emily in Paris": Sämtliche Konflikte werden beim Flanieren beiläufig angerissen, kaum eine Geschichte glaubwürdig zu Ende erzählt. Die Serie kann sich nicht dazu durchringen, sich dem selbst auferlegten Reality-Check hinzugeben. Die Probleme der Pariser Figuren sollten sicher mehr Nähe zum Publikum schaffen. Aber wie soll das gehen, wenn alle angerissenen Dramen sich pünktlich zur nächsten Product-Placement-Storyline wieder aufgelöst haben müssen?

Nachgang? Nicht vorhanden bei "Emily in Paris"

Diesen Widerspruch hält die Dramaturgie nicht aus. Schließlich lebt selbst das albernste Guilty-Pleasure-Vergnügen von viel Raum für große Gefühle. Das Publikum will nicht nur in schönen Bildern schwelgen, sondern mitleiden und mitlieben. Dafür allerdings nimmt sich die Serie keine Zeit mehr.

Der gigantische Hype um "Emily in Paris" überstrahlt längst die eigentliche Serie. Vom anfänglich übersprudelnden Charme, der über so manche dramaturgische Schwäche hinwegtäuschte, ist nicht mehr viel übrig; selbst die Chemie zwischen den Hauptcharakteren hat sich abgenutzt. Die Serie gleicht mittlerweile viel zu sehr einem beiläufigen Scroll durch Instagram: Hier und da ganz hübsch, ein bisschen viel Werbung, und es fehlen die Momente, die wirklich bewegen.

Bis zum 12. September hält Netflix die letzten fünf Folgen der vierten Staffel zurück. Ob die Serie zwischen Kitsch und Champagner noch einmal besser wird? Eher unwahrscheinlich. Nach der ersten Hälfte der Staffel hält sich die Neugier jedenfalls in Grenzen.

Dabei wissen es Emily und ihre Kolleginnen der Werbeagentur "Savoir" eigentlich besser. Immer wieder heißt es da, es gebe ein heiliges Prinzip in der Branche: Um ein Produkt zu verkaufen, muss die Werbung dazu ein Gefühl transportieren.

Erschienen in stern 34/2024

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