Jeder kennt die berühmte Steinigungsszene aus "Das Leben des Brian": Da zu diesem brutalen Ritual nur Männer zugelassen sind, haben sich die anwesenden Frauen Bärte umgebunden, um ungestört dem grausamen Schauspiel beiwohnen zu dürfen. Das Geschnatter ihrer hohen Stimmen verleiten den Steinigungsmeister schließlich zu der Frage: "Kann es sein, dass Weibsvolk anwesend ist?"
Beim heute beliebtesten Volksvergnügen Fußball geht es bei weiten nicht so brutal zu. Dennoch gilt im Gottesstaat Iran für Fußballstadien: Frauen müssen leider draußen bleiben. Allerdings haben sich Frauen schon immer und überall ungern vorschreiben lassen, was sie zu tun und lassen haben. Und so gibt es auch an jenem Nachmittag in Teheran junge Mädchen, die sich - als Junge verkleidet - ins Stadion schmuggeln wollen. An diesem Tag trägt der Iran das entscheidende WM-Spiel gegen Bahrain aus. Gewinnt die Nationalmannschaft, fährt sie zur Fußball-WM nach Deutschland.
Zu Beginn sehen wir einen vollbesetzten Bus, Fußballfans stimmen ihre Gesänge an und freuen sich auf das Spiel. Es wird laut diskutiert. Männer unter sich. Abseits sitz am Fenster ein Junge, die Wangen in den Nationalfarben geschminkt, die Baseballkappe tief ins Gesicht gezogen. Schnell wird dem Zuschauer klar: Es handelt sich um ein Mädchen, das unbedingt dem Spiel beiwohnen will.
Regeln, die niemand versteht
Kurz vor dem Stadion fliegt die Tarnung jedoch auf, die Fußballfanatikerin wird von Soldaten verhaftet und an der Außenmauer des Stadions festgehalten. Ein paar Absperrgitter stellen ein provisorisches Gefängnis dar. Was nun folgt, ist ein Stück absurdes Theater. Denn das Mädchen ist nicht allein. Insgesamt werden sechs weibliche Fans bewacht. Doch diese sind keinesfalls zerknirscht, weil sie auf frischer Tat ertappt wurden. Vielmehr verspotten sie ihre - nicht viel älteren - Bewacher und diskutieren mit ihnen über Sinn und Unsinn eines Verbots von Frauen in Stadien. Keiner der Soldaten kann den Mädchen erklären, weshalb sie draußen bleiben müssen. Dennoch müssen sie die Mädchen bewachen - und somit Regeln befolgen, deren Sinn sie selbst nicht verstehen.
Der iranische Regisseur Jafar Panahi erzählt in dem auf der Berlinale 2006 mit einem Silbernen Bären ausgezeichneten Film "Offside" von einem Land, in dem sich die Widersprüche längst nicht mehr verbergen lassen. Formal beachten die Menschen die Regeln des Gottesstaates, die jedoch zur reinen Staffage verkommen, weil sie nicht akzeptiert werden. Denn auch die Soldaten als Vertreter der repressiven Staatsmacht unterstützen das System nur widerwillig. Sie leisten ihren Wehrdienst zwangsweise und wären viel lieber bei ihren Familien auf dem Land. So spielen alle miteinander Theater - absurdes Theater. Gerade am Beispiel der Rolle der Frau im Iran schafft es Panahi, die Widersprüche auf den Punkt zu bringen.
Hoffnungsvolle Botschaft
Es ist der große Verdienst des Filmes, die Kritik an dem Staat nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Witz und Intelligenz vorzubringen. Besonders abenteuerlich wird die Situation, als eines der im Stadion festgehaltenen Mädchen dringend zur Toilette muss. Eine Damentoilette gibt es im Stadion nicht. Aber dürfen die Soldaten ein Mädchen aufs Männerklo lassen? Mit diesen Szenen des täglichen Irrsinns legt Panahi den Finger in die Wunde eines morschen Systems - und liefert gleichzeitig einen höchst amüsanten Unterhaltungsfilm ab. Hier wie dort lässt sich beobachten: Fußball setzt Kräfte und Energien frei, denen gesellschaftliche Strukturen nur schwer beikommen können. Darin liegt auch die hoffnungsvolle Botschaft, die der - im Iran verbotene - Film transportiert.
Jafar Panahi ist in Teheran wegen Propaganda gegen die islamische Führung zu sechs Jahren Haft verurteilt worden. Zusätzlich wurde ein 20- jähriges Berufsverbot gegen ihn verhängt. Der Regisseur darf in dieser Zeit keine Drehbücher mehr schreiben, Filme machen, Interviews geben oder ins Ausland reisen.